Beipackzettel – versteh ich nicht!

Eine Erkundung der Chancen und Hürden für Patienteninfos in klarer Sprache

Wer kennt nicht diese nervigen Beilagen für Arzneimittel: verwirrend gefaltet, unleserlich klein gedruckt, gespickt mit Medizinerlatein, und was man erfährt sind vor allem die schrecklichen Nebenwirkungen. Das Problem ist längst erkannt: Viele Patienten sind mit den Beipackzetteln überfordert, lesen sie oft gar nicht oder missverstehen was drin steht oder verzichten völlig verunsichert auf die Arznei. Es ist also höchste Zeit, für verständliche Patienteninformationen zu sorgen (1). An Vorschlägen fehlt es nicht, nur tut sich bisher wenig – sind praktikable Lösungen in Sicht?

Medikamente von katicaj auf Pixabay

Detaillierte Vorschläge gibt es bereits von der Arbeitsgemeinschaft (AG) Beipackzettel, in der Senioren- und Patientenorganisationen sowie einige Pharmafirmen zusammenarbeiten. Die AG hat sieben Punkte für patientenfreundliche Informationen aufgelistet: lesbare Schrift, patientenverständliche Sprache, Informationen über die Wirkung des Arzneimittels, übersichtliche Darstellung, Bilder und Piktogramme, Informations- und Hinweiskästen, weiterführende Informationen (2). Die Psychologin Dr. Barbara Keck (AG) fordert vor allem klare Sätze, z.B. statt der vieldeutigen Formulierung „Nehmen Sie das Medikament mit ausreichend Flüssigkeit ein“ den eindeutigen Hinweis: „Trinken Sie ein Glas Wasser dazu“(1).

Einen neuen Vorstoß hat Thorsten Lehr, Professor für Klinische Pharmazie, unternommen: Er hat die Beilagen einiger häufig verordneter Medikamente von Fachbegriffen befreit, dazu die Texte mithilfe eines Computerprogramms optimiert. Aus diesen Informationen konnten die befragten Patienten schneller und verlässlicher herausfinden, was der Hersteller ihnen mitteilen wollte. Auch beim Test mit dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex schnitten die neuen Beipackzettel besser ab als die Vergleichsinfos (1)(3).

Allerdings, so Thorsten Lehr, muss bei jeder Änderung mit dem Hersteller geklärt werden, ob die neue Fassung noch alle juristischen Vorschriften erfüllt (3). Auch Barbara Keck hat darauf verwiesen, dass strikte rechtliche Vorgaben das Vorhaben der AG erschweren: Gesetzlich ist genau festgeschrieben, was der Beipackzettel alles enthalten muss (4).

Und hier liegt das Problem: Der Beipackzettel soll mehr leisten als eine Gebrauchsanweisung – er dient zusätzlich als juristische Absicherung. Daher listen Pharmafirmen akribisch alle erdenklichen Nebenwirkungen auf (genauso wie Gerätehersteller in ihren Packungsbeilagen vorwiegend die Sicherheitsrisiken erläutern!). Darüber hinaus sollen alle Beipackzettel dem Muster entsprechen, das die Europäische Arzneimittel-Agentur festgelegt hat (1).

Den Bemühungen um verständliche Beipackzettel stehen also gleich mehrere Hürden entgegen: die Fachbegriffe müssen den medizinischen Definitionen entsprechen, die Texte sollen juristisch abgesichert sein und zugleich den administrativen Vorgaben aus Brüssel folgen.

Welche Lösungen wären angesichts dieser Hürden denkbar? Aus der Sicht von Thomas Lehr ließen sich die Beipackzettel vereinfachen, ohne dass Vorgaben und Gesetze verändert werden. Dabei sollten Fremdwörter vermieden, Sätze umformuliert und wichtige Informationen hervorgehoben werden (1)(3). Dieser Ansatz käme den Vorstellungen der AG Beipackzettel entgegen: „Wir wünschen uns, dass künftig alles Wissenswerte für Patienten in verständlicher Kurzform auf einem Blatt in der Arzneischachtel liegt“(4).

Hingegen vertritt die EU-Kommission, die sich mit Patienteninformationen befasst, eine andere Idee: auf dem Beipackzettel sollte eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Fakten stehen (1). Konkret fordert der Europaabgeordnete und Mediziner Peter Liese eine Faktenbox: sie habe sich in den USA bewährt (5).

Kommen wir zum Schluss auf die Sprache zurück: was zeichnet – im Lichte der Vorschläge – den patientenfreundlichen Beipackzettel sprachlich aus?

  • Er soll wichtige Informationen in verständlicher Weise vermitteln. Dazu gehört: Fremdwörter zu vermeiden, klare Sätze zu formulieren (leicht erfassbarer Inhalt) und wichtige Aussagen hervorzuheben.
  • Er ist für die breite Öffentlichkeit gedacht, also für Menschen mit üblicher Bildung und Lesefähigkeit (nicht für besondere Zielgruppen mit Lese- oder Lerneinschränkungen).
  • Er wird von medizinischen Fachleuten verfasst; erforderlich sind also Sachkompetenz und allgemeine sprachliche Fähigkeiten, unterstützt durch Software für Textoptimierung.

All diese Merkmale lassen sich in dem Begriff klare Sprache (ähnlich der Einfachen Sprache) zusammenfassen. Aufschlussreich hierfür sind die Hinweise und Hilfsmittel der Klartext-Initiative der Universität Hohenheim (6). Klare Sprache würde viele Informationen leserfreundlich machen: nicht nur Beipackzettel, sondern auch Gebrauchsanweisungen, Merkblätter oder sonstige Handreichungen – zahllose Nutzer warten darauf!

Sabine Manning

Quellen:

  1. Julia Koch: Krank vor Furcht. Der Spiegel 28/2017
  2. AG Beipackzettel: Der patientenfreundliche Beipackzettel (August 2016) [PDF]
  3. Silvia Meixner: Beipackzettel: Apotheker planen Pilotstudie (30.3.2017) [Link]
  4. Raphaela Birkelbach: Beipackzettel besser verstehen. Seniorenratgeber (14.12.2016) [Link]
  5. RollingPlanet: EU kritisiert Beipackzettel für Medikamente als zu kompliziert. Und nun? (11.4.2017) [Link]
  6. Klartext-Initiative. Universität Hohenheim: Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft [Link]

Update zum Beitrag:

Beipackzettel-Angaben zu Nebenwirkungen irreführend. Ärzteblatt (19.9.2018) [Link]

2 Gedanken zu “Beipackzettel – versteh ich nicht!

  1. Hallo Frau Manning,

    sehr informativer Beitrag!

    Eine kleine Ergänzung:
    Die Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder haben an das Bundesministerium für Gesundheit eine Forderung adressiert, zu prüfen, ob es zielführend und rechtlich möglich ist, der aktuellen Packungsbeilage eine laienverständliche Kurzform der Packungsbeilage beizufügen.

    Das Saarland beabsichtigt in Kooperation mit der Universität des Saarlandes, der Apothekerkammer und den Krankenkassen des Landes sowie der Pharmazeutischen Industrie eine Pilotstudie. Die Studie soll Erfahrungen über eine laienverständliche zusätzliche Packungsbeilage in Kurzform sammeln.

    Quelle: Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung. https://www.ms.niedersachsen.de/aktuelles/presseinformationen/bessere-verstaendlichkeit-und-lesbarkeit-von-arzneimittel-packungsbeilagen-155764.html

    Mit freundlichen Grüßen
    Bettina Mikhail

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  2. Vielen Dank, Frau Mikhail, für Ihren interessanten Kommentar!

    Das ist ja eine erfreuliche Initiative der Landes-Gesundheitsministerien: so eine laienverständliche Kurzform der Packungsbeilage (wie von der AG Beipackzettel gefordert) wäre eine gute Lösung. Bin gespannt, was die Machbarkeitsstudie mit all den Interessenvertretern ergeben wird!

    Mit besten Grüßen
    Sabine Manning

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