7 Merkmale einfacher Texte

Eine Analyse der typischen Merkmale öffentlicher Texte in Einfacher Sprache

Es ist nicht leicht, die Einfache Sprache treffend zu beschreiben. Sie ist weniger ‚greifbar‘ als die Leichte Sprache, da sie keine verbindlichen Regeln hat. In dem Beitrag „Was heißt hier EINFACH?“ haben wir bereits die typischen Merkmale Einfacher Sprache erkundet. Ausgangspunkt hierfür waren die Regeln und Richtlinien von Anbietern Einfacher Sprache. Wie aber sehen einfach geschriebene Texte tatsächlich aus? Welche sprachlichen Merkmale kennzeichnen sie? Wieweit stimmen diese Merkmale mit den Richtlinien der Anbieter überein? Diese Fragen wollen wir anhand von bekannten Veröffentlichungen in Einfacher Sprache untersuchen.

Für unsere Untersuchung gehen wir von den bereits ermittelten Merkmalen Einfacher Sprache aus. Sie sind auf dem Infoportal unter ABC der Einfachen Sprache zugänglich. Anhand dieser Merkmale analysieren wir Texte aus bekannten Veröffentlichungen in Einfacher Sprache:

Aus jeder Veröffentlichung haben wir zwei oder mehr Kapitel von insgesamt 1000 Wörtern ausgewählt. Mit diesen Textbeispielen wollen wir ein möglichst breites Spektrum an Inhalten und Ausdrucksmitteln erfassen. Es geht nicht um die Bewertung der einzelnen Veröffentlichungen. Dazu sind die Textausschnitte zu klein. Vielmehr wollen wir ein Gesamtbild erhalten, das die Merkmale Einfacher Sprache verdeutlicht. Daher bezeichnen wir für die Texte auch nur mit Buchstaben (A bis G).

Für die sprachliche Analyse nutzen wir die Software TextLab. Sie prüft Texte nach zahlreichen Kriterien und berechnet den Hohenheimer Verständlichkeitsindex. Dieser Index erfasst wesentliche Hürden in Texten: lange Sätze und Satzteile sowie lange Wörter. Auf der Index-Skala beginnen ‚verständliche‘ Texte mit dem Wert 10. Die Skala reicht bis zum höchsten Wert 20. Der Zielwert für Leichte Sprache ist mindestens 18. Darunter liegt der Zielwert 16 für Online-Texte. Für die Einfache Sprache gibt es keine Markierung. Wir haben aber einen Anhaltspunkt aus einer früheren Untersuchung (Einfach oder leicht getextet?): Texte in Einfacher Sprache erreichten hier die Werte 17 bis 20.

Bei der Analyse der Textbeispiele erhalten wir das gleiche Ergebnis. Wie die folgende Grafik zeigt, liegen die Indexwerte der Texte zwischen 17 und 20.

Wir wollen jetzt die Textbeispiele genauer untersuchen. Dazu nutzen wir die Merkmale der Einfachen Sprache als Raster (Übersicht unten in blau). Wieweit die Merkmale zutreffen, erkunden wir mithilfe von TextLab oder durch direkte Textprüfung.

Merkmale der Einfachen Sprache

(1) Kurze Wörter: lange Wörter vermeiden; zusammengesetzte Wörter möglichst auflösen oder Bindestriche (soweit üblich) setzen

Das TextLab zeigt Höchstwerte für die Wortlänge an: Für die Leichte Sprache sind das 10 Buchstaben pro Wort, für Online-Texte 16 Buchstaben pro Wort. Darüber hinausgehende ‚lange‘ Wörter sollten nur einen geringen Anteil an allen Wörtern haben.
Wie die folgende Grafik zeigt, übertreffen die meisten Texte den empfohlenen Anteil langer Wörter für Leichte Sprache, aber sie liegen alle unter dem zulässigen Anteil langer Wörter für Online-Texte. Zudem nutzen die meisten Texte für besonders lange Wörter Bindestriche. 

(2) Verständliche Wörter: Grundwortschatz; möglichst keine Abkürzungen, keine Fachbegriffe oder Fremdwörter (wenn nötig, erklären)

Abkürzungen kommen in den Texten fast gar nicht vor.
Fremdwörter gibt es hingegen häufiger. Allerdings bezieht TextLab Fremdwörter auf die Herkunft und zählt auch Lehnwörter mit, die inzwischen zur Alltagssprache gehören. Danach sind durchschnittlich 6% aller Wörter in den Texten Fremdwörter – verglichen mit einem empfohlenen Höchstwert von 3% für Leichte Sprache.
Fachbegriffe lassen sich mit TextLab nur teilweise erfassen. Wichtig aber ist, dass sie in den Texten – ebenso wie schwierige Fremdwörter – zumeist erklärt werden. Das geschieht entweder im Text selbst oder im Anhang, Fenster oder Kasten oder mit einem beschrifteten Bild. Dennoch haben wir durchschnittlich 3 schwierige Fach- oder Fremdwörter pro Text ermittelt, die nicht erklärt worden sind.
Die Texte enthalten relativ wenige abstrakte Substantive. Deren Anteil liegt bei durchschnittlich 3% aller Wörter: zwischen dem empfohlenen Höchstwert von 2% für Leichte Sprache und 5% für Online-Texte.

(3) Einfache Wortformen: starke Verben (statt Substantiv + schwaches Verb); möglichst Aktiv statt Passiv; selten Konjunktiv

Sätze im Nominalstil sind schwerfällig, da sie Substantive mit schwachen Verben kombinieren. Durchschnittlich 6% der Sätze in den Texten haben Nominalstil. Dieser Anteil liegt zwischen den empfohlenen Höchstwerten für Leichte Sprache (2%) und Online-Texte (20%).
Sätze im Passiv haben in den Texten einen durchschnittlichen Anteil von 5%. Damit überschreiten sie den Richtwert für  Leichte Sprache (0%) und erreichen den Höchstwert für Online-Texte (5%).

(4) Kurze Sätze mit einfacher Struktur: etwa bis 15 Wörter pro Satz (selten bis 20 Wörter); möglichst Subjekt – Prädikat – Objekt; höchstens ein Nebensatz; kein Schachtelsatz

Die folgende Grafik geht von empfohlenen Satzlängen im TextLab aus:
> In der Leichten Sprache sollten höchstens 2% der Sätze mehr als 12 Wörter haben;
> In Online-Texten sollten Sätze in keinem Falle mehr als 15 Wörter haben.
Wie die Grafik zeigt, überschreiten die meisten Texte die empfohlenen Satzlängen – bezogen auf die Richtwerte für Leichte Sprache und für Online-Texte. 
 

Längere Sätze bestehen oft aus mehreren Satzteilen. Das TextLab misst, welcher Anteil von Sätzen mehr als 2 Satzteile hat. Dieser Anteil sollte in Leichter Sprache 0% und in Online-Texten höchstens 5% betragen. In den analysierten Texten liegt der durchschnittliche Anteil mit 2% zwischen diesen Richtwerten.

(5) Übersichtlicher Text: logisch aufgebaut; in kleine Absätze untergliedert; mit Zwischenüberschriften und Hervorhebungen

Alle untersuchten Texte verwenden kleine Absätze. In zwei Texten wird nur ein Satz pro Zeile geschrieben, wie das für Leichte Sprache üblich ist.
Auch Zwischenüberschriften finden sich in fast allen Texten. Hingegen nutzen nur einige Texte Hervorhebungen.
Mehrere Texte enthalten auch Fenster, Kästen oder Anhänge, um Informationen übersichtlicher anzuordnen. 

(6) Gut lesbare Schrift: serifenlose Buchstaben, Schrift größer als üblich, große Zeilenabstände

Alle Texte sind mit serifenlosen Buchstaben gedruckt. Die Schrift ist jedoch nur in einigen Texten größer als üblich (verglichen mit den normalen Texten auf der jeweiligen Plattform). Auch die Zeilenabstände sind nur bei einigen Texten groß.
Wahrscheinlich lässt sich die Schrift nur so weit gestalten, wie es die jeweiligen Plattformen technisch zulassen.

(7) Deutliche Bilder: Fotos und Zeichnungen, die zum Text passen

Mit Fotos oder Zeichnungen sind alle Texte ausgestattet. Entweder veranschaulichen die Bilder einzelne Inhalte im Text, oder die Überschrift ist mit einem Bild gekoppelt. In allen Fällen sind die Bilder deutlich und passend zum Text.

Fazit

Was ergibt unsere Analyse?
Wir kennen jetzt typische Merkmale von bekannten Veröffentlichungen in Einfacher Sprache. Das heißt: wenn wir über Einfache Sprache reden, können wir tatsächliche Beispiele und konkrete Merkmale anführen – statt nur über Konzepte oder Richtlinien zu diskutieren.
Wir haben ermittelt, dass die sprachlichen Merkmale der analysierten Texte weitgehend mit den Richtlinien von Anbietern Einfacher Sprache übereinstimmen. Daraus folgt zweierlei: Die öffentlichen Texte können wir als beispielhaft für Einfache Sprache betrachten. Zugleich ist erwiesen, dass die Merkmale im ABC der Einfachen Sprache auf Richtlinien UND auf Textbeispielen basieren. 
Somit liefert uns die Analyse einen weiteren Baustein für die  Anerkennung Einfacher Sprache.

Sabine Manning

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