Sprache sollte klar und deutlich sein, damit sie möglichst alle Menschen verstehen können. In deutschsprachigen Ländern nennen wir das ‚einfache‘, ‚klare‘, ‚verständliche‘ oder auch ‚bürgernahe‘ Sprache. International gibt es ähnliche Bestrebungen. Weit verbreitet ist die Bewegung für Plain Language. Sie knüpft an Regelungen in den USA für eine verständliche Amtssprache an und ist besonders in englischsprachigen Ländern vertreten.
Im deutschsprachigen Raum verwenden Experten ebenfalls Plain Language: als internationale Entsprechung für Einfache Sprache oder als eigene Dienstleistung, vor allem aber als Maßstab für gesellschaftliche Anerkennung. Doch auch die Europäische Union strebt danach, mit den Menschen in allen Mitgliedsländern verständlich zu kommunizieren. Der Schlüsselbegriff hierfür ist Clear Language (Klare Sprache). Was kennzeichnet sie, insbesondere verglichen mit Plain Language?
Ein deutliches Zeichen hat das Europäische Parlament gesetzt: Im Frühjahr 2020 wurde die neue Direktion Bürgernahe Sprache (Directorate for Citizens‘ Language) eingerichtet. Sie soll die multilinguale Kommunikation mit den Bürgern verbessern: Der Inhalt soll klar, qualitativ hoch und relevant sein, in verschiedenen Formaten und Medien angeboten werden und in allen offiziellen Sprachen der EU verfügbar sein.
Zu den Arbeitsbereichen der Direktion gehört das Referat Klare Sprache und Textüberprüfung (Clear Language and Editing Unit). Cathy Waibel hat in einem Webinar (2nd ITI FrenchNet webinar 2020) die Rolle dieses Referats erläutert. Das Team bearbeitet Texte, bevor sie übersetzt und/oder veröffentlicht werden. Die meisten dieser Textvorlagen sind englisch, und zwar überwiegend von Nicht-Muttersprachlern geschrieben. Das neue Referat setzt sich dafür ein, ‚klares Englisch‘ (Clear English, auch Plain English genannt) zu fördern. Clear English bedeutet nicht, Informationen übermäßig zu vereinfachen. Vielmehr sollen leicht verständliche Texte entstehen. Als Beispiel zeigte Cathy Waibel einen Brief an einen EU-Bürger: Die überarbeitete Fassung war über 30% kürzer, weniger bürokratisch und wirkte menschlicher.
Wie Klare Sprache aussehen soll, ist bereits in einem Handbuch der Europäischen Kommission beschrieben. Dieses Handbuch liegt in allen Amtssprachen der EU vor. Die deutsche Ausgabe heißt Klar und deutlich schreiben. Das Handbuch selbst ist ein Beispiel für klare und deutliche Kommunikation. Als erstes empfiehlt es klare Gedankenführung, Leserbezug und übersichtlichen Textaufbau. Es folgen Tipps für Wortwahl, Grammatik und Satzstruktur. Abschließend rät das Buch, den Text zu prüfen und Online-Hilfen der EU zu nutzen. Alle Ratschläge sind illustriert und leserfreundlich gestaltet.
Interessant ist nun, die Empfehlungen der EU für Clear Language mit denen für Plain Language zu vergleichen. Wir nutzen dazu die grundlegenden Versionen in Englisch: das Handbuch der EU „How to write clearly“ und den Ratgeber der US-Regierung „Federal plain language guidelines“ . Hier ist ein Überblick der jeweiligen Empfehlungen (die Überschriften der Abschnitte sind ergänzt durch Stichpunkte zum Inhalt):
EU: „How to write clearly“ | US: „Federal plain language guidelines“ |
1. Think before you write 2. Focus on the reader 3. Get your document into shape 4. KISS: keep it short and simple (e.g. short documents and sentences, simple words; avoid ambiguity, use positive forms) 5. Make sense – structure your sentences 6. Cut out excess nouns – verb forms are livelier 7. Prefer active verbs to passive ones – and name the agent 8. Be concrete, not abstract 9. Beware of false friends, jargon and abbreviations 10. Revise and check | 1. Write for your audience 2. Organize the information 3. Choose your words carefully (e.g. use simple words, use verbs instead of nouns, avoid jargon, minimize abbreviations) 4. Be concise (e.g. write short sentences and sections, use positive language) 5. Keep it conversational (e.g. use active voice, use the present tense) 6. Design for reading 7. Follow web standards 8. Test your assumptions |
Bereits der Überblick mit wenigen Stichpunkten zeigt: Beide Empfehlungen sind ähnlich aufgebaut und ausgerichtet. Sie sollen Texte für alle Bürger leicht lesbar und verständlich machen. Sie entsprechen den Richtlinien, die auch für ‚bürgernahe‘, ‚einfache‘, ‚klare‘ oder ‚verständliche‘ Sprache im deutschsprachigen Raum gelten. Sie sind aber nicht speziell für Menschen mit Lese- oder Lernschwierigkeiten gedacht. In dieser Hinsicht ist Einfache Sprache weitreichender als Plain oder Clear Language (vgl. Was heißt hier EINFACH?).
Interessant ist schließlich, dass die beiden Sprachformen zwar sehr ähnlich sind, aber unterschiedlich benannt werden: ‚plain‘ und ‚clear‘. Im Englischen sind diese Wörter sinnverwandt und beide geläufig. In der deutschen Sprache hingegen ist das Wort ‚plain‘ kaum vertreten, nicht einmal als Anglizismus. Nur das selten gebrauchte Wort ‚plan = flach, eben‘ ist mit ‚plain‘ verwandt: beide gehen auf lateinisch ‚planus‘ zurück. Man muss also den Begriff Plain Language im Deutschen erst einmal erklären.
Einfacher ist das mit ‚clear‘: Das Wort findet sich in vielen europäischen Sprachen wieder. Das zeigen schon die Titel des EU-Handbuches: How to write clearly (englisch), Klar und deutlich schreiben (deutsch), Rédiger clairement (französisch), Cómo escribir con claridad (spanisch), Scrivere chiaro (italienisch) und Skriva klarspråk (schwedisch). Den Begriff Clear Language können wir also besser verstehen als Plain Language.
Insgesamt ergibt der Vergleich, dass Clear Language und Plain Language ebenbürtige internationale Sprachformen sind: Sie haben ähnliche inhaltliche Ziele und sind beide in großen Sprachräumen amtlich anerkannt. Für europäische Länder hat Clear Language den Vorteil, dass nutzerfreundliche Handbücher in allen Amtssprachen vorliegen. In Deutschland sollten wir das Handbuch der EU stärker bekannt machen. Darüber hinaus sollten wir Clear Language in die Diskussion um Einfache Sprache einbringen.
Sabine Manning
Liebe Sabine,
danke für einen weiteren sehr interessanten Artikel!
Bei der Lektüre der EU – und US – Empfehlungen musste ich schmunzeln, sind doch mindestens die ersten drei Punkte die, die ich auch meinen Schülern 😉 seit Jahren ans Herz lege. Darunter dieses wichtige „Focus on the reader/Write for your audience“, auch wenn „reader/audience“ im Allgemeinen „nur icke bin“. Und: „Use simple words“: Oh ja, wie hilfreich, können wir doch mit weniger einfachen Wörtern manchmal gar nicht richtig umgehen.
Ich sollte vielleicht dazu sagen, dass sich an meiner Schule (meist junge) Erwachsene auf die Berufsbildungsreife und den mittleren Schulabschluss vorbereiten; auf diesem Niveau zumindest sind die Empfehlungen – gerade auch für den Schreibenden selbst – sehr hilfreich.
Herzliche Grüße
Christine Pilot
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Liebe Christine,
das sind anregende Gedanken: Wenn die Empfehlungen für Clear/Plain Language so gut in einen Unterricht für junge Erwachsene passen, dann erreichen sie genau ihr Ziel – bürgernah zu sein!
Danke fürs Mitmachen auf Multisprech und weiterhin viel Erfolg,
Sabine
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