CORONA als verbaler Superspreader

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Sprachliche Begleiterscheinungen der CORONA-Pandemie

Wer hätte vor einigen Jahren verstanden, was ein superspreader ist. Im Frühjahr 2020 wuchsen in der ganzen Welt das Unbehagen und allmählich das Wissen um eine bis dahin unbekannte gesundheitliche Bedrohung für die Menschheit. Mit dem Virus Covid 19 tauchten viele neue Bezeichnungen für veränderte Lebensbedingungen auf. Sie kamen in der Regel aus dem englischen Sprachraum (z.B. shelter-at-home order, home office, remote work, lockdown, shutdown, quarantine usw.). Auch in Deutschland und sehr wahrscheinlich überall in der Welt gab es einen dynamischen Wortschöpfungspozess, der häufig englischsprachige Entlehnungen einbezog. Für das Ausgehverbot oder das lange Wort Aufenthaltsbeschränkung schienen die englischen Entsprechungen griffiger, weil kürzer, zu sein. Der superspreader (to spread – (sich) verbreiten) nimmt in der deutschen Definition bei Wikipedia mehrere Zeilen ein. Im Übrigen hat dieser medizinische Fachterminus seine Bedeutung ausgedehnt. Der britische Guardian (11.04.21) zitiert aus einer neueren amerikanischen Studie, in der rightwing superspreaders on social media für die Verbreitung falscher Informationen zur Wahl des Präsidenten Biden mitverantwortlich gemacht werden.

Pandemic flood of words

Über „Corona Sprech“ ist inzwischen eine Menge geschrieben worden (vgl. auch Helmut Reiseners Beitrag im MULTISPRECH-Blog v. 21.04.20). Die pandemic flood of words, die Flut der Wörter, ist stetig angewachsen. Die hier aufgeführten Belege umfassen sowohl Neuwörter als auch die Bedeutungserweiterung bekannter englischer Wörter sowie deren Ableitungen. Eine besonders umfangreiche Gruppe sind Zusammensetzungen mit den medizinischen Termini quarantine und dem Adjektiv pandemic. Allen gemeinsam ist die Widerspiegelung sozialer und kultureller Befindlichkeiten und Bedürfnisse in einer veränderten Lebenswelt. Die „Fundorte“ der folgenden Beispiele waren die Online-Ausgaben der Washington Post (WP) und des britischen Guardian (Gua) sowie vereinzelt die Potsdamer Neuesten Nachrichten (PNN).

Die Wortflut steigt nach einem Jahr der Pandemie noch immer. Sie umfasst neutrale Benennungen und (teils humorvolle) Neologismen, befördert durch das Bedürfnis von Politikern und Journalisten nach Originalität des Ausdrucks. Das im Englischen bereits seit langem etablierte deutsche Wort Angst wird nun zur pandemic angst oder corona angst (Gua 23.02.21). Die erzwungene endless staycation (WP 08.07.20; Mischwort stay + vacation, für Urlaub) schließt allerdings Urlaubsgefühle weitgehend aus. Pandemic grief, quarantine fatigue und zoom fatigue (Müdigkeit nach vielen Stunden am Bildschirm) führen zu bemerkenswerten Reaktionen. Ein Trend zu Auslandsreisen (outbound), der von China ausging, wird sichtbar in sog. revenge trips oder revenge travel (revenge – Rache; Jetzt- erst-recht-Reisen). Ein Kurzkommentar (WP 30.07.20) erklärt die Motivation: “an angsty new term to describe this apparent pent-up demand…customers turn from disappointment to decision to plan bigger trips for 2021.“ Und wer reist, will auch Geld ausgeben – revenge spending wiederum „describes the huge buying desire by people…after weeks of lockdown“ (ibid).

Masks and more

Auf bescheidenerem finanziellen Niveau müssen sich derzeit Modetrends bewegen. Das lockdown dressing begnügt sich mit lässigen zoom shirts, aber Modeproduzenten haben bereits die postpandemic fashion trends im Blick, mit besonderer Blickrichtung auf postpandemic skirts for men (WP 24.03.21). Als überaus störend werden hingegen geschlossene Friseurläden empfunden, und „when every day is a bad hair day“, kann das zur hairpocalypse führen (Wortmischung mit apocalypse ; WP 01.04.21). Die obligatorische Maske ist ebenfalls nicht kleidsam, aber man kann wenigstens die Augenpartie durch geeignete Hilfsmittel hervorheben – smize your eyes (Wortmischung mit emphasize + smile + eyes; die farbliche Betonung der smiling eyes). Kosmetische Unterstützung gibt es auch für pandemic eyebrows (ungezügelt wuchernde Brauen; WP 08.02.21) und für Hautirritationen wie maskne (Wortmischung mask+acne; Urban Dictionary Online). Medizinische Schutzmasken waren und sind noch immer, auch in Deutschland, ein „hot button political issue“, besonders in der Trump-Ära der USA. In den Augen vieler Republikaner galt die Maske bereits zu Beginn der Pandemie als „a scarlet letter pinned on the weak“ (übernommen aus Nathaniel Hawthornes Roman „Der scharlachrote Buchstabe“ und als Ächtungsmerkmal symbolisiert; WP 17.11.20).

Physical distancing and pandemic bubbles

Die bedrückende Gesamtsituation, also vielerlei Arten von pandemic stressors, insbesondere das social bzw. physical distancing und die zunehmend als belastend empfundene Isolierung des Einzelnen führten zu nützlichen Hilfsangeboten wie dem seven-day newsletter der Washington Times: What Day Is It? Er gibt Hinweise zu einer sinnvollen Strukturierung des Tages, zu neuen Kontakten und Erfahrungen. Über verloren gegangenes Zeitgefühl klagen offenbar viele Menschen – Every Day is Blursday (WP 17.11.20; Wortmischung day und blur – verschwimmen; vermutlich Anspielung auf den Song „Everyday Thursday“ der Drunken Masters, einer Musikgruppe). Individuelle Reaktionen auf ein radikal verändertes Leben sind vielfältig. Social Media werden allgemein noch intensiver genutzt. Das doom scrolling oder auch doom surfing (doom – Untergang, Unheil) dient manchen Menschen als willkommene Ablenkung. Die Doomsday Preppers – prepared, bereit für den Weltuntergang) gab es schon eine ganze Weile vor Corona (s. gleichnamige amerikanische Dokumentarserie aus dem Jahr 2011). Die Bedeutungserweiterung von doom bezog sich auf Theorien der Klimatologie zum Klimawandel. In der bedrohlichen Gegenwart der Pandemie bietet sich „die digitale Suche nach der Apokalypse“ (Zitat K. Brinkbäumer in PNN 05.10.20) geradezu an. Ableitungen wie doomism, doomist, adj. zeugen davon, dass das Wort seinen festen Platz in der englischen Sprache gefunden hat.

Weitaus positivere Reaktionen spiegeln sich wider in pandemic bonds (WP 30.03.20) und pandemic partners oder pod mates, in pandemic pods (pod – Hülse, Schote), in vacation pods und pandemic bubbles (mit den Verbableitungen pod/bubble (up with so.). Alle bezeichnen das Bedürfnis, sich mit gleichgesinnten Partnern zu kleinen Gruppen mit übersichtlichem Infektionsrisiko zusammen zu schließen (s. GOOGLE social bubble). Es gibt family bubbles, dining bubbles, support bubbles oder auch travel bubbles. Die erste offizielle trans-Tasman travel bubble, ein „pandemic milestone“ (Video mit der neuseeländischen Premierministerin, zit. im Guardian 06.04.21), wurde gerade für den Flugverkehr zwischen Neuseeland und Australien bekannt gegeben. Sie ermöglicht den Reisenden eine quarantänefreie Ankunft. Die biosecure bubble in einem Trainingslager für die englische Cricketmannschaft (Gua 12.02.21) sollte sicher das gesellschaftliche Gewissen beruhigen, und auch in Deutschland bedient man sich inzwischen der „Blase“, z. B. bei internationalen Reitturnieren, die wegen eines aggressiven Herpes-Virus in einem Wettkampf-Ort nur ausgetragen werden dürfen, wenn sie „als ‚Blase‘ gelten, solange es keinen nachgewiesenen Fall gibt“ (PNN Febr. 2021). Die PNN v. 29.03. erwähnt darüber hinaus eine Dienstleistungsbubble. Das englische Wort füllt offenbar eine Lücke im deutschen Wortschatz, aber es wird vermutlich einige Zeit dauern, bis es verstanden und dann auch in der deutschen Entsprechung allgemein angewandt wird.

Pandemic creativity

Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache erweitert ständig die große Zahl an Belegen (siehe z. B. Artikel von G. Zifonun „Anglizismen in der Coronakrise“). Interessant ist nicht nur die Auflistung neu hinzukommender oder in der Bedeutung veränderter Wörter, sondern der sozio-kulturelle und politische Hintergrund, vor dem sie gebraucht werden. Das Beispiel vaccination patronage (v. Verf. unbeholfen übersetzt als Impf-Vetternwirtschaft; WP 06.04.21) zeigt ähnliche gesellschaftliche Auswirkungen der Pandemie in den USA, GB und Deutschland. Ermutigend aber ist die Zunahme der quarantine creativity, von Ideen und Tätigkeiten, die bei coronaphobia (WP 29.02.21) eine Art von Fluchtstrategie sind. Auf künstlerischem Gebiet findet man z. B. im Internet unter Covid joke und Last Supper (Leonardo da Vinci) sehr amüsante Beispiele für tweaking famous paintings, die humorvolle Umgestaltung berühmter Gemälde. Handwerklich Interessierte können dem cabin fever, dem Lagerkoller, entkommen, wenn sie sich daran machen, einen pandemic shed (Einraum-Schuppen) zu bauen (WP 05.04.21). Im privaten Bereich scheint das caring for animals stark zuzunehmen. Beispiele sind der Kauf von pandemic puppies (Hundewelpen), das cow cuddling (mit Kühen schmusen), fostering kittens (Kätzchen großziehen) oder pet chickens (das Huhn auf dem Balkon). Allerdings wird der vermehrten Zuwendung zu Haustieren ein durch Corona verstärkter anderer Trend im Wege stehen – die Rückkehr erwachsener Kinder, der boomerang generation, in das elterliche Heim. Der erwartete quarantine baby boom ist ausgeblieben, sinkende Geburtenraten in den USA und in Deutschland führten zu einem sehr deutlichen Covid baby bust (Geburtenrückgang; WP 30.01.21, vgl. auch Deutsche Welle Europe. 13.03.2021). Die Produktivität der Sprachnutzer hingegen ist ungebrochen, und es hat bei der Fülle der täglich hinzukommenden Beispiele den Anschein, als habe die pandemic flood of words noch längst nicht ihren Höhepunkt erreicht.

Gastbeitrag von Hiltrud Wedde

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay 

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