Refugees im sprachlichen Neuland

Spruchbänder und Netzportale haben in unserem Land Flüchtlinge in vielen Sprachen begrüßt, und der Ausspruch ‚Refugees welcome‘ ist weltweit zum Symbol für Willkommenskultur geworden. Wie aber läuft die Verständigung mit den Neuankommenden praktisch? Dazu gibt es bisher zwar nur wenige Informationen und wohl kaum Analysen, doch um so aufschlussreicher sind zahlreiche Initiativen.

Klar ist, dass die Asylsuchenden, die in Deutschland bleiben und Fuß fassen wollen, die deutsche Sprache lernen müssen. Doch entsprechende Kurse stehen ihnen in der Regel erst nach erfolgreichem Asylverfahren offen, und das kann Monate dauern. Was tun? Die meisten Flüchtlinge können kein Deutsch, brauchen es aber so schnell wie möglich, um sich in dem neuen Land orientieren und verständigen zu können.

Berliner Büchertisch: Leseecke für Kinder 3 flickr CC-Lizenz [https://www.flickr.com/photos/berlinerbuechertisch/4407646033] [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/legalcode]

Hier sind Initiativen gefragt. Viele Freiwillige, z.B. im Projekt Teachers on the Road, bieten ehrenamtlich Sprachkurse und zugleich praktische Hilfe an. Auf Youtube finden sich Videos, u.a. vom Goethe-Institut die Reihe Erste Wege in Deutschland, mit Sprachübungen in Alltagssituationen (etwa am Busstop, beim Arztbesuch). Besonderen Zuspruch haben Videoblogger wie MaroWelt (>Video), selbst ehemaliger Migrant, der deutsche Redewendungen („Guten Morgen“) vorspricht und auf Arabisch erklärt.

Selbstverständlich können diese Angebote keine professionellen Deutschkurse ersetzen. Ihr Vorzug liegt woanders: dass sie Sprache, Alltag und  sozialen Kontakt miteinander verbinden.

Wie können sich nun Flüchtlinge, mit oder ohne Deutsch, an ihrem Ankunftsort orientieren? Interessante Vorstöße gibt es speziell für die relativ große syrische Gruppe.  Die Verkehrsbetriebe in Berlin und in Hamburg haben z.B. auf lokale Initiativen hin Faltblätter (>PDF) mit Informationen in Englisch und Arabisch herausgebracht. Besonders originell ist ein digitaler Berliner Stadtplan („Arriving in Berlin„), den ein Team von Geflüchteten in Englisch und Arabisch entwickelt hat: er zeigt praktische Anlaufpunkte (etwa wo es freie Deutschkurse, arabisch sprechende Ärzte oder Bibliotheken mit Internetanschluss gibt). Und die ZEIT hat eine Sondernummer ihres Magazins auf Deutsch und Arabisch veröffentlicht.

Mehrsprachige Informationen in großer Palette gibt es vor allem für die wichtigsten Belange, wie Asylverfahren und gesundheitliche Untersuchungen. Die Infobroschüre des BAMF „Willkommen in Deutschland“ ist in 13 Sprachen verfügbar. Kürzlich wurde in Berlin die Service- und Lern-App „Ankommen“ vorgestellt. Sie informiert in fünf Sprachen – Arabisch, Englisch, Farsi, Französisch und Deutsch – über das Leben in Deutschland, einschließlich Asylverfahren, Ausbildung und Arbeit. Weiterhin hilft ein multimedialer Sprachkurs bei den ersten Schritten zum Deutschlernen. Inzwischen (April 2016) ist auch die Sprachlern-App des Deutschen Volkshochschulverbandes herausgekommen.

Beachtlich sind außerdem Initiativen von örtlichen Bibliotheken, z.B. in Bremen und Frankfurt/Main, die Medienboxen mit Büchern, Lehrmaterial und Spielen in vielen Sprachen bereitstellen.

Die meisten Informationsmittel werden jedoch in Deutsch und Englisch herausgebracht. Zwar können viele Flüchtlinge auch kein Englisch, doch immerhin ist es im Querschnitt der häufigsten Herkunftsländer (Syrien, Albanien, Kosovo, Afghanistan, Irak, Serbien, Mazedonien, Eritrea und Pakistan) die am meisten verbreitete Fremd- bzw. Verkehrssprache (vgl. Länderinfos in Wikipedia). Eine besonders schöne Aktion: das WillkommensABC – ein kostenloses Bildwörterbuch (englisch/deutsch) im Internet mit über 150 Alltagsbegriffen für Flüchtlingskinder und deren Familien. Aber auch lokale Initiativen gehören dazu: der Ahrensburger Judo-Club z.B. bietet für interessierte Flüchtlinge kostenlose Kurse mit zweisprachigen Trainern.

Wie aber klappt die unmittelbare Verständigung vor Ort? Hierüber ist bisher nur wenig zu erfahren. Aufschlussreich sind oft indirekte Hinweise in Situationsberichten, z.B.

Sprachzitate

Es ist also leicht vorstellbar, dass sich bei vielen Begegnungen Englisch als ‚Lingua franca‘ anbietet.

Interessant ist nun, dass die Hilfsaktionen für Flüchtlinge auch deutsche Beteiligte motivieren, ihre Sprachkenntnisse zu erweitern. So erwartet man in NRW-Bibliotheken, dass sich Mitarbeiter entsprechend qualifizieren, um Auskünfte auf Englisch und in anderen Fremdsprachen zu geben.

Besonders ehrgeizig sind führende Persönlichkeiten in Dresden mit Ihrem Konzept einer integrativen Flüchtlingspolitik hervorgetreten (wohl um den beschädigten politischen Ruf der Elbmetropole wettzumachen!). Dazu soll gehören, dass die Dresdner zukünftig mehr Fremdsprachen lernen, angefangen bei Englischkursen für Taxifahrer, und ihre Straßen und Haltestellen zweisprachig (deutsch/englisch) ausschildern (>Fotomontage). Wieweit sich diese Vorstellungen umsetzen lassen, ist völlig offen. Doch immerhin sind Schritte denkbar, Englisch zur Zweitsprache im öffentlichen Leben dieser Großstadt zu entwickeln – als sprachliche Brücke nicht nur für Flüchtlinge und Migranten, sondern auch für Touristen und internationale Gäste.

Wie immer man die einzelnen Initiativen bewerten möge, viele erschließen sprachliches Neuland, das über die Flüchtlingshilfe hinaus eine offenere Kultur des Zusammenlebens befördern könnte.

Sabine Manning

PS:  Dieser Beitrag wurde unter dem Titel „Angekommen – aber wie gelingt Verständigung?“ (21.1.16) in der „Freitag Community“ diskutiert.

11 Gedanken zu “Refugees im sprachlichen Neuland

  1. …an Englisch als (hoffentlich nicht einziger) erster Begrüßungssprache führt wohl kaum ein Weg vorbei. Dennoch war und ist „Refugees Welcome“ als einzige Begrüßungsformel in Deutschland ein kurzsichtiger sprachlicher Missgriff mit fatalen Folgen. Ein gleichzeitiges „Flüchtlinge Willkommen“ würde dagegen kurz und prägnant deutlich machen, dass sie eben nicht irgendwo, sondern speziell in Deutschland willkommen und angekommen sind. Staatliche Behörden oder Ehrenamtliche, die so, wie es Teile der FDP aus durchsichtigen wirtschaftlichen Gründen ohnehin schon seit einiger Zeit fordern, das Englische allmählich in die Rolle einer zweiten Landessprache erheben, handeln kontraproduktiv. Sie unterminieren nicht nur das sprachlich-gesellschaftliche Ankommen der Zuwanderer, sondern auch die Motivation der Einheimischen, sie beruflich, kulturell und nachbarschaftlich bei sich aufzunehmen statt sie nur vorübergehend zu akzeptieren.

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  2. Zwischen gut gemeint und gut gemacht gibt es ja bekanntlich Unterschiede. Die als Fremdsprachenmuffel bekannten Deutschen, die es eher schaffen, dass im 17. Bundesland Mallorca Deutsch als offizielle Amtssprache eingeführt wird, als dass sie die Notwendigkeit anerkennen, die spanische Sprache zu erlernen, wollten nun den zu Hunderttausenden ins Land strömenden Flüchtlingen ihre Weltoffenheit demonstrieren, sich erneut, wie bereits Jahre zuvor als freundliche und aufmerksame Gastgeber des „Sommermärchens 2006“ präsentieren und die Ankommenden warmherzig mit selbstgefertigten Plakaten, Blumen, Plüschteddys und mit einer Gute-Laune-Party-Stimmung und kuscheligen Wohnzimmerwohlfühlatmosphäre empfangen.

    Doch die Ankunft der Flüchtlinge, ihre Registrierung und Unterbringung in Notunterkünften, ihre Erstversorgung etc. sind kein touristisches Event oder Happening. Integration ist keine Wellness- oder Ayurveda-Kur, Deutschland ist kein 5-Sterne-All-Inklusive-Flüchtlings-Dienstleistungsunternehmen und die vielen freiwilligen Helfer sind keine Animatoren zur Bespaßung der Flüchtlinge. Das bisher an der „Flüchtlingsfront“ zutage getretene Chaos, die katastrophalen Bedingungen an den bayerischen Grenzübergängen und am Berliner LAGESO, die Überforderung vieler Gemeinden und Behörden, die bis „Anschlag“ arbeiten und inzwischen an ihren Kapazitäts-und Belastungsgrenzen angelangt sind, lassen eher das Wort „Krise“ zutreffen als „Sommertraum“. „Wir schaffen das!“ Diese schon mantraartig vorgetragene Merkelsche Durchhalte- und Selbstmotivierungsparole wird nicht dadurch wahr, dass wir sie nur oft genug wiederholen. Sie bedeutet auch nicht, dass wir die Flüchtlinge irgendwo und irgendwie unterbringen und ihnen eine Decke und einen Beutel mit Hygieneartikeln in die Hand drücken. Das schaffen wir. Doch viele sprechen bereits von der größten Herausforderung mit den tiefgreifendsten gesellschaftlichen Veränderungen, vor denen Deutschland seit Ende des 2. Weltkrieges steht. Und diese Herausforderung besteht in der nachhaltigen Integration von Millionen vorwiegend muslimischen Flüchtlingen in unsere Gesellschaft. Das Erlernen der deutschen Sprache ist der erste und wichtigste Schritt, der zentrale Schlüssel dafür, dass diese Integration gelingt und das Entstehen von Parallelgesellschaften vermieden wird. Das ist keine freiwillige Option, sondern eine Pflicht, eine „conditio sine qua non“. In dieser Hinsicht stimme ich dem Kommentar von „#hahadi“ zu, dass es eher kontraproduktiv ist, wenn wir die Notwendigkeit des Erlernens der Deutschen Sprache selber untergraben und abschwächen, indem wir alle Hilfestellungen und Orientierungen in Arabisch und/oder Englisch geben und selbst von einem Bäcker und Metzger oder einer Supermarktverkäuferin und Polizistin verlangen, Englisch und Arabisch zu lernen. Willkommen? Ja. Kultur? Ja. Und auch Höflichkeit, Freundlichkeit, Zuvorkommenheit, Respekt und Hilfsbereitschaft. Aber keine falsch verstandene Willkommenskultur im Sinne von Sektempfang und Dolmetscherservice. Das können und wollen wir nicht leisten. Am schnellsten erlernen die Flüchtlinge unsere Sprache, indem sie diese im Alltag jederzeit und allerorten sprechen und anwenden. Die Flüchtlinge sind keine selbstzahlenden Touristen mit Serviceansprüchen, auch wenn die meisten nicht wegen der deutschen Sprache, unserer Geschichte und Kultur oder Literatur Deutschland als Ziel ihrer Flucht auserkoren haben, sondern wegen der sicheren Lebensverhältnisse und unseres hohen materiellen Lebensstandards und unserer garantierten sozialen Leistungen, die auch Asylbewerbern gewährt werden. Die Beherrschung der deutschen Sprache entscheidet darüber, ob und wie gut die Integration der Flüchtlinge gelingt und diese ihre Fremdheit als Fremde überwinden und aktive und teilhabende Mitglieder unserer Gesellschaft werden. Parallelgesellschaften wie die integrationsunwilligen deutschen Ballermann-Touristen auf Malle will in Deutschland kein Mensch haben.

    Die Sprachangebote aktiv nutzen, das müssen die Flüchtlinge schon selbst. Freiwillig oder mit Nachdruck, mit und ohne Nachhilfe. Die Vermittlung und Beherrschung der Sprache sind die wirksamste Integrationsmaßnahme, der Spracherwerb ist nachhaltige Hilfe zur Selbsthilfe! Dieser Weg wird kein leichter sein. Er führt über Stolpersteine und zu Missverständnissen und er endet nie. Aber es gibt weder eine Umgehungsstraße noch eine Abkürzung. Die deutsche Sprache ist nicht alles, aber ohne die deutsche Sprache ist alles nichts und die Integration muss scheitern.

    Klappt es mit der Sprache, dann klappt es auch mit den Nachbarn! In diesem Sinne: Willkommen in Deutschland!

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  3. Als Fremdsprachendidaktiker freut es mich, dass im Zuge der Integrationsbemühungen hierzulande das Erlernen von Sprache(n) verstärkt und vermehrt in den Diskussionsfocus gerückt wird.Und erfreulich ist auch, dass es heute „Willkommenskultur“ heißt und nicht „Leitkultur“, wie es vor Jahren von einigen deutschen politischen Leithammeln ins Gespräch gebracht wurde. Und so stimme ich den Kommentaren von „#hahadi“ und Dr. Volkmar Schmid voll zu, denn ohne Deutsch geht es nun mal in Deutschland nicht. Wenn sich Asylbewerber aus unterschiedlichen Ländern und also mit unterschiedlichen Muttersprachen in diesem Land orientieren wollen, ja müssen, und wenn sie versuchen, ihren Alltag zu bewältigen und ihre Probleme (mit Hilfe) zu lösen, warum dann über den Umweg einer Drittsprache? Und noch ein Aspekt ist zu bedenken: Auch untereinander müssen diese Leute ja kommunizieren können, sei es in der gemeinsamen Unterkunft, in der Warteschlange der Behörde oder beim Essens- oder Kleider-Empfang. Da hilft das gebrochene Englisch dem Menschen aus Montenegro wenig, wenn der Mensch aus dem Iran ein ganz gebrochenes Englisch spricht. Dann doch besser ein (zunächst) gebrochenes Deutsch für beide Gesprächspartner, gleichsam als Ausgangs-Mini-‚lingua franca‘. Gespräche sind nötig, um Zusammenstöße, Konflikte und Problemsituationen möglichst bald und schnell aus der Welt zu schaffen. Und im Übrigen gilt, was man Reisenden bereits in der Antike mit auf den Weg gab: WENN DU NACH ROM KOMMST, DANN MACH’S WIE DIE RÖMER!
    Dr. Helmut Reisener

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  4. Vielen Dank für die ersten Diskussionsbeiträge! Alle drei Kommentatoren plädieren eindrucksvoll dafür, dass Geflüchtete und Einwanderer die deutsche Sprache erlernen – als Schlüssel für die gesellschaftliche Integration.

    Interessant ist dabei die Frage, welche Rolle die englische Sprache spielen kann. Ist sie in der Bewältigung des deutschen Alltags oder im Umgang der Neuankömmlinge untereinander ein Umweg (H.R.) oder untergräbt sie gar die Motivation zum Deutschlernen (V.Sch.) bzw. unterminiert sie das sprachlich-gesellschaftliche Ankommen der Zuwanderer (#hahadi)? Könnte Englisch nicht andererseits auch eine Vermittlerrolle spielen, z.B. wenn einer in der Runde (noch) kein Deutsch kann oder die ersten Brocken Deutsch für ein anspruchsvolleres Gespräch nicht ausreichen? Oder wäre Englisch nicht als Medium vorzuziehen, wenn sich sprachlich unterlegene Deutschanfänger und überlegene Muttersprachler als ‚Gleiche‘ begegnen wollen? Und könnten Englischkenntnisse nicht für Menschen ganz anderer sprachlicher Herkunft eine Brücke zum Deutschen sein, da sich beide indogermanischen Sprachen ähneln? Welche Erfahrungen oder Ansichten gibt es zu diesen Aspekten?

    Worum es allerdings im obigen Artikel geht, ist die allererste Phase der Ankunft und Orientierung für Flüchtlinge und Migranten, noch BEVOR sie die Chance zum Deutschlernen ergreifen können. Was läuft z.B. ab, wenn eine vor kurzem eingetroffene syrische Familie mit dem Linienbus unterwegs ist? Wäre da nicht ein Infoblatt in Deutsch/Englisch (und vielleicht noch Syrisch) hilfreich, oder ein Busfahrer bzw. Mitreisender, der wenigstens mit ein paar englischen Worten Auskunft geben kann? In diesen tausendfach wiederkehrenden Situationen ist eine vielsprachige Willkommenskultur gefragt: Inwieweit sind wir auf diesem Weg? Was ist machbar und sinnvoll?

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  5. Mit meinem Hinweis „…an Englisch als (hoffentlich nicht einziger) erster Begrüßungssprache führt wohl kaum ein Weg vorbei“ sehe ich mich fast ganz auf Sabines Linie. Wer von uns war denn nicht schon oft heilfroh, wenn er in einer fremden Sprachumgebung zunächst irgendwie zumindest mit einem gebrochenen Englisch auskam? Mein „Unterminieren“ bezog sich deshalb, ganz anders als Sabine es verstanden zu haben scheint, auf beobachtbare Tendenzen und erkennbare Absichten, Englisch als zweite Amtssprache neben Deutsch einzuführen und das Flüchtlingsthema (auch) dafür zu missbrauchen. Ein englischsprachiger Begrüßungsruf „Refugees Welcome“ in Deutschland unterstützt Absicht und Tendenz. Geschickter wäre es gewesen, den Flüchtlingen durch ein dem englischen vorangesetztes „Flüchtlinge Willkommen“ sofort einen Sprachkurs anzubieten, statt ihrer Ankunft nur den oberflächlichen Ereigniswert eines vorübergehenden „Events“ (s. o., Kommentar von Volkmar Schmid) zuzubilligen.

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  6. Pingback: Sprachkritisch unterwegs – Foruminfo 07/2015 | Forum Sprachkritik und Politik

  7. In den Vorkommentaren wurde bereits eine Differenzierung zwischen zwei Ebenen angedeutet. Sie ist die meiner Meinung nach zielführendste: 1. Deutschlernen als zentrale Integrationsmaßname. Nur hierdurch kann eine Person in vollem Umfang am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, seine Ziele erreichen und persönlichen Interessen durchsetzen. 2. Englisch und Muttersprache(n) als Zwischenlösung. Besonders zu Beginn sind praktische Lösungen von Bedeutung. Es geht um die Vermittlung wichtiger Informationen, bspw. den Ablauf des Asylverfahrens, die gemeinschaftlichen Regeln in den Unterkünften oder die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Im Blogbeitrag gibt es viele Hinweise auf in meinen Augen begrüßenswerte Ideen und Initiativen. Ergänzt werden praktisch orientierte Lösungen durch Flüchtlinge, Ehrenamtliche und Professionelle, die dolmetschen.

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  8. Einen interessanten Meinungsaustausch zum Blogbeitrag gab es auch im Netzwerk Xing. Hier sind ausgewählte Kommentare aus den Gruppen „Politik“ und „Migration – Forschung, Recht und Politik“ – mit folgender Fragestellung: ‚Refugees welcome!‘ – Wie gelingt die sprachliche Verständigung? Was meinen Politik- und Migrationsexperten zu diesen sprachlichen Aspekten? Wie wichtig sind sie für die angestrebte Integration?

    N.N. – 15.01.2016, 20:59
    Sehr wichtig!!!!

    Dr. Mathias Fuchs – 15.01.2016, 21:17
    Wie bereits in den Kommentaren auf der verlinkten Internetseite angedeutet, ist eine Differenzierung zwischen zwei Ebenen die meiner Meinung nach umsichtigste Sicht: 1. Deutschlernen als zentrale Integrationsmaßnahme. Nur hierdurch kann eine Person in vollem Umfang am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, seine Ziele erreichen und persönlichen Interessen durchsetzen. 2. Englisch und Muttersprache(n) als Zwischenlösung. Besonders zu Beginn sind praktische Lösungen von Bedeutung. Es geht um die Vermittlung wichtiger Informationen, bspw. den Ablauf des Asylverfahrens, die gemeinschaftlichen Regeln in den Unterkünften oder die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Im erwähnten Blogbeitrag gibt es viele Hinweise auf in meinen Augen begrüßenswerte Ideen und Initiativen. Ergänzt werden praktisch orientierte Lösungen durch Flüchtlinge, Ehrenamtliche und Professionelle, die dolmetschen.

    Mathias F. Tretschog – 15.01.2016, 22:44
    Unter anderem heißt es in dem Artikel: „Wie können sich nun Flüchtlinge, mit oder ohne Deutsch, an ihrem Ankunftsort orientieren? “
    Als ein praktisches Bsp. verweise ich da gern auf folgende Seite, die ausschließlich und bewusst nur in Deutsch gehalten ist. Unsere Neuankömmlinge sollen so mit Print/Online-Übersetzungshilfen ermuntert werden, beim Lernen der deutschen Sprache auch gleich unsere Kultur und Lebensweise kennen zu lernen. 
    http://www.zu-gast-in-kw.de/den-alltag-in-kw-meistern/

    Dr. Mathias Fuchs – 16.01.2016, 9:59
    Ergänzende Gedanken: Vor dem Hintergrund der Frage “Was ändert sich in unserer Sprache und unseren Vorstellungen?” erinnere ich mich an einen sehr interessanten Aspekt, der in meinen Augen für Sprachforscherinnen und Sprachforscher ein interessanter Ausgangspunkt darstellen könnte. Im Zuge der Auswertung von empirischen Ergebnissen bin ich auf den Hinweis gestoßen, dass in der deutschen Sprache bislang wenig sprachliche Ressourcen vorhanden sind, die es einer Persönlichkeit erlauben, ihre Persönlichkeitsbezüge zu mehreren Heimaten sprachlich zu vermitteln. Ich formulierte als Fazit: “Auf Grundlage der Äußerungen zum Thema Heimat kann ebenfalls von den beiden genannten Fallbeispielen ausgehend nachvollzogen werden, dass beide Herren in ihren Ausführungen zunehmend widersprüchlich wurden und schnelle Wechsel zwischen ihren Heimaten vollzogen. Dies erschwerte es nachzuvollziehen, auf welche der beiden Heimaten sie sich in ihren momentanen Darstellungen bezogen. Im Hinblick auf diese Vermittlungsschwierigkeiten wurde bereits im Abschnitt der Analyse eines dieser Fallbeispiele die Vermutung geäußert, dass es Personen, die über mehrere Heimaten verfügen, aufgrund fehlender gesellschaftlicher Metaerzählungen schwer fällt, ihre Referenzen von Heimat(en) zu vermitteln. Daraus resultiert, dass diese Personen bspw. für Linguisten und Philosophen eine ausgesprochen interessante Untersuchungsgruppe stellen können, wenn die pragmatische Semantik zum Begriff „Heimat“ in einer durch Migration geprägten Gesellschaft ausgearbeitet werden. Anhand des bereits aufgeführten Dudeneintrags kann im Zusammenhang mit Ausführungen von Louise Röska-Hardy – die Wörterbucheintragungen als sprachliche Praxis von bevorzugten Teilen der Gesellschaft auffasst – darauf geschlossen werden, dass bislang überwiegend die sprachliche Praxis jener Bevölkerungsteile Beachtung fand, die nicht transnational mobil sind.” (Aus: M. Fuchs, Migration, Alter, Identität, Springer VS)

    Dr. Sabine Manning – 16.01.2016, 14:39
    Vielen Dank für Ihren Zuspruch gleich zu Beginn und die anregenden Kommentare zu sprachlichen und auch heimatbezogenen Aspekten! Es ist in der Tat sinnvoll, wie Mathias Fuchs ausführt, zwischen zwei sprachlichen Ebenen für Flüchtlinge zu unterscheiden: 1. Deutschlernen als zentrale Integrationsmaßnahme und 2. Englisch und Muttersprache(n) als Zwischenlösung.
    Auf die Hürden des Deutschlernens werden wir im Blog Multisprech noch zurückkommen. In unserem obigen Beitrag geht es hingegen vor allem um die ‚Zwischenlösung‘: sprachliche Verständigung und Orientierung für neu ankommende Flüchtlinge. Interessant ist das Beispiel von Mathias F. Tretschog. Gibt es noch weitere Initiativen und Erfahrungen sprachlicher Flüchtlingshilfe?

    N.N. – 16.01.2016, 20:32
    Als Übergangslösung bieten sich auch Symbole/Bilder an: http://www.dings.me/pdf/DINGS_Desk.pdf

    Andreas Bichweiler – 29.01.2016
    Englisch ist nicht immer hilfreich, da die Flüchtlinge oftmals nur ihre eigene Sprache und ein paar lokale Dialekte kennen. Das weiß ich aus meiner Erfahrung im VABO-Unterricht an einer Gewerbeschule. Da muss man sich notfalls mit Gesten und Bildern behelfen. Man sollte aber nicht vom Deutschen abkommen, weil es den Flüchtlingen hilft, dadurch die Zusammenhänge zwischen Bildern, Gegenständen und den bei uns gebräuchlichen Worten und Bezeichnungen heraus zu finden. Teil des VABO-Unterrichtes ist die Einweisung der Flüchtlinge in hiesige Gesellschaft, Politik, Strukturen, Gesetze, Regeln.
    VABO steht dabei für Vorbereitungsjahr auf das Arbeitsleben, was dabei nicht nur Strukturen (Ämter), Bewerbungsmodi, Abläufe betrifft, sondern auch Regeln wie den zwischenmenschlichen Umgang beinhaltet – Stellung der Frau, etc. und einiges mehr. Manche sind willigt, Andere nicht – nun, Schwenzer gibt es bei uns Einheimischen auch. Aber – um es mit Huntington, aber weitaus glimpflicher auszudrücken: the clash of mentalities. Manche würden am liebsten gleich los arbeiten, kollidieren aber mit unseren Regeln – und der Sprache. Allerdings muss dabei auch davon ausgegangen werden, dass Vieles
    davon abhängt, wie weit sich die Flüchtlinge auch selber einbringen. Ich selbst erwarte das Führen eines Vokabelheftes, in das alle Worte hinein kommen, die neu, unbekannt sind. Hinzu kommt in meinem Gemeinschaftskunde-Unterricht auch etwas Länderkunde, Geographie, Verständnis der Demokratie – vielleicht dürfen sie ja auch mal wählen. Grundwerte – was ist wichtig für unser Zusammenleben? All das ist zwar viel auf einmal, aber es soll Ihnen helfen, das im Unterricht Mitbekommene nach und nach im täglichen Leben umzusetzen. Und – man sollte nicht alle Flüchtlinge über einen Kamm scheren.
    Englisch ist dabei – wie schon gesagt – eine mögliche, aber nicht immer hilfreiche Brücke. Polyglotte Kenntnisse sind daher hilfreich, denn manchmal – nicht immer – helfen auch spanische oder italienische Kenntnisse (und wenn es auch nur Sprachfetzen sind). Bilder, Piktogramme, Hände, Tafelbilder – ist nicht immer einfach, aber es hilft. Oft sind Handys mit im Raum – nicht immer gerne gesehen -, aber wenn eine APP wie Leo (http://www.leo.org) drauf ist, kann man auch mal „on the fly“ übersetzen. Ist eine Herausforderung – für uns alle!

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  9. Ich selber war für einige Zeit begeistert in einem Erzählcafé involviert. Auch wenn überall erzählt wurde, dass mit den Geflüchteten deutsch gesprochen werden soll, war ich der Ansicht, dass wenn Englisch vorhanden ist, es als „Türöffner“ als „Brücke“ genutzt werden kann um schnell Gemeinsamkeiten zu finden und Ängste abzubauen.
    Wer geflüchtet ist, ist hier fremd und fühlt sich auch so. Aber wer schon bruchhaft englisch spricht fühlt sich bestätigt in dem was er kann, es bestehen schon Erfahrungen. Er ist also nicht ganz fremd. Man kennt schon Worte, Redewendungen etc. und sie werden so genutzt und verstanden, wie man es kennt.
    Fühlt man sich daraufhin in dem Personenkreis sicher, und schenkt den Menschen vertrauen, entsteht auch der Wunsch deutsch zu lernen, weil man sich weiter hier einbringen möchte. Und mit den Menschen, die man eben über das Englisch kennen gelernt hat und sie mag – wächst die Begeisterung, weil man sie mit dem überraschen kann, was man schon gelernt hat.
    Also in meinen Augen ist Englisch als Brücke zur ersten Orientierung ideal. Die, die englisch sprechen „dienen“ auch gut als Multiplikatoren, weil sie eben von unserer Kultur erzählen können und gerade am Anfang gut vermitteln können.

    Wie würde man sich wohl fühlen, wenn man eine Sprache kann, diese aber nicht nutzen darf, obwohl sie Anwendung finden könnte, weil das Gegenüber sie auch kann… das hat in meinen Augen schon etwas von „Ich bringe dir das bei, wovon ich glaube es bringt dir was und dann auch so, wie ich es will“ in meinen Augen stünde da wohl eine Unterordnung im Vordergrund. Wohl aber unbewusst.

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    • Viele interessante Aspekte wurden in den obigen Kommentaren schon genannt. Ich kann als Unterrichtende der deutschen Sprache für Zuwanderer nur zustimmen, wie wichtig das Erlernen des Deutschen für das selbstständige Leben hier ist.
      Gleichzeitig finde ich das Verwenden der englischen oder anderer gemeinsamer Sprachen am Anfang auch unbedingt sinnvoll. Auch im letzten Kommentar von Stefan Schmidt wird deutlich, dass man damit Fremdheitsgefühle verringern und Wertschätzung ausdrücken kann.
      Es ist der Beziehungsaspekt, den ich dabei für zentral halte: ‚Ich will mit dir, dem/der (zunächst) Fremden in Kontakt treten und nutze dafür unsere gemeinsam vorhandenen Ressourcen. [Das können anfangs auch von beiden Seiten (bruchstückhaft) beherrschte Sprachen sein, nicht nur die deutsche Sprache.] Ich sehe dich als Menschen mit Fähigkeiten und Kenntnissen, nicht nur als eine(n), der sich hier (noch) nicht auskennt, der (noch) kein Deutsch versteht.‘
      Es geht dabei nicht um Entweder-Oder, sondern um Sowohl-Als auch.
      Ähnlich ist es etwa auch innerhalb von zugewanderten Familien: Natürlich sollen die Kinder früh, vor Schuleintritt, die deutsche Sprache erlernen. Das bedeutet aber nicht, dass die Eltern mit ihnen zu Hause nur Deutsch sprechen sollen, v.a., wenn sie die Sprache nur fehlerhaft beherrschen. Für die Beziehung zwischen Eltern und Kindern, für das emotionale Miteinander, eignet sich die Muttersprache, in der man sich wohl und zu Hause fühlt, viel besser.

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