„Dem Volk auf’s Maul schauen“!?

Jeder kennt diesen Spruch. Luther schaute vor 500 Jahren „dem Volk auf’s Maul“. Er wollte die Bibel in ein allseits verständliches Deutsch übersetzen. Doch heute, angesichts von Pegida & Co, hören sich diese Worte wie eine Anleitung zum Populismus an. Was hat Luther damals wirklich gemeint? Und welchen Sinn hat sein Spruch heute für uns?

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Schon vor Luther gab es Bibeln auf Deutsch, doch sie waren wörtlich aus dem Lateinischen übersetzt, und kaum jemand konnte sie verstehen. Luther ging deshalb einen neuen Weg. In seinem berühmten Sendbrief vom Dolmetschen (1530) heißt es:“…man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf den Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen; da verstehen sie es denn und merken, dass man deutsch mit ihnen redet.“(1/2)

Um diese Botschaft richtig zu deuten, müssen wir sie wiederum ‚übersetzen‘. Zu Luthers Zeit war der ‚gemeine Mann‘ der gewöhnliche Mensch (nicht etwa der ‚Pöbel‘) und das ‚Maul‘ ein normaler Ausdruck für Mund. Luther wollte weder die hochgestochen akademische Sprache nutzen noch die Gossensprache aufgreifen. Dem Volk auf’s Maul zu schauen hieß vielmehr: Ihr müsst hören, wie die Leute bei euch sprechen. (3/4)

Luther schöpfte aus der lebendigen gesprochenen Sprache und bereicherte sie zugleich. Er schuf Wörter wie Geizhals, Spitzbube, Lästermaul und Sündenbock, aber auch Machtwort, Nächstenliebe, Feuereifer, friedfertig und lichterloh: also meist bildhafte Ausdrücke. Darüber hinaus erfand er Sprachbilder und Wendungen, die uns heute noch als Sprichwörter begleiten, u.a. aus seinem Herzen keine Mördergrube machen, seine Hände in Unschuld waschen, Perlen vor die Säue werfen, sein Licht unter den Scheffel stellen (trotz des veralteten ‚Scheffel‘ unverändert lebendig!).(5/6/7/8/9)

Bei alledem war Luther nicht von Spracheifer getrieben, sondern bestrebt, dem Volk die Bibel nahezubringen. Die  wollte er „klar und gewaltiglich verdeutschen“, also sinngemäß und zugleich eindringlich übersetzen. Mit einer bildhaften, volkstümlichen Sprache konnte er die Menschen am besten erreichen und bewegen.(1/2)

Ihm lag es jedoch fern, sich beim Volk sprachlich anzubiedern. Er wollte keinesfalls, dass die verbreitete Unwissenheit das Niveau der Sprache bestimmte. Um die christliche Botschaft zu überbringen, brauchte er eine niveauvolle, universale Sprache. An vielen Stellen schrieb er daher eher ‚gehobenes‘ Deutsch, beispielsweise „siehe, da geschah“ oder „es begab sich aber„. (3/4)

In seinem Bemühen um eine verständliche Sprache war Luther stets „Diener zweier Herren“: Gottes Wort so genau wie möglich zu übersetzen und vom Volk so gut wie möglich verstanden zu werden. Unermüdlich suchte er nach den richtigen Worten, um der Sache und zugleich dem Gegenüber gerecht zu werden.(3) So gelang ihm eine Sprache, die weder volksfern noch populistisch war. Und in diesem Streben können wir Luther auch heute nacheifern!

Sabine Manning

Quellen:

  1. Bertsch, Matthias: Luther als Übersetzer – Von Lückenbüßern und Lügenmäulern. Deutschlandradio Kultur 01.11.2015
  2. Besch, Werner: Wie groß war Luthers Einfluss auf unsere Sprache? Universität Bonn 16.10.2014
  3. Günther, Hartmut [im Gespräch mit Hanna Lucassen]: Wem hat Luther „aufs Maul geschaut“? Luthers Einfluss auf die Sprache. Luther2017
  4. Günther, Hartmut [im Gespräch mit Kathrin Hondl]: Luther-Ausstellung – „Es ging nicht darum, die Sprache zu vulgarisieren“ Deutschlandfunk 05.05.2016
  5. Hansen, Reimer: Dolmetscher für den gemeinen Mann. Berliner Zeitung 16.03.1996
  6. Flocken, Jan von: Wie Martin Luthers Bibel unsere Sprache prägt. Die Welt 25.01.2008
  7. Bernhard, Henry: Ausstellung „Luther und die deutsche Sprache“. Deutschlandradio Kultur 04.05.2016
  8. Krischke, Wolfgang (zit. v. Weihkopf): Was heißt hier Deutsch? Kleine Geschichte der deutschen Sprache (2010). Welt der Sprache
  9. Herrenbrück, Gerhard: Neue Lutherbibel kehrt zu gewohnter Sprache zurück. Grafschafter Nachrichten 11.10.2016

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