Wer oder was ist verflixt noch mal „ES“?

Mit einem unbeschwerten „Bis nexte Mal!“ ist Abbas gegangen, ich dagegen sitze am Esstisch und kann nicht aufhören zu grübeln. Nie hätte ich gedacht, dass es so schwierig ist, einem anderen meine eigene Sprache beizubringen!

ES“, so stand es harmlos oben auf der Seite, die Abbas in seinem Übungsbuch aufgeschlagen hatte. „ES?“, dachte ich verwundert, was sollte daran so kompliziert sein?

ES v. Christine Pilot (privat)

ES“, das war doch schlicht ein Personalpronomen, oder? Stand für sächliche Nomen wie „Kind“ oder „Auto“: „Das Kind hat Hunger. – ES hat Hunger.“ „Das Auto ist neu. – ES ist neu.“

Doch halt, mir fiel ein: „ES“ konnte auch für mehrere Wörter stehen, „ES“ stand manchmal stellvertretend für einen ganzen Satz: „Ich weiß nicht, wann der Bus kommt. – Ich weiß ES nicht.“ „Ich erkläre dir, was hier steht. – Ich erkläre ES dir.“

Aber ach, von wegen: Ich erkläre ES dir! Denn „ES“, so weiß ich inzwischen, das ist auch noch etwas ganz anderes. Etwas Rätselhaftes, Mysteriöses, etwas, was ich mir kaum vorstellen und deshalb auch kaum erklären kann. Beispiele? Jede Menge, ich brauche mich nur einmal umzusehen:

ES ist gleich sechs Uhr. – ES ist schon dunkel. – Draußen regnet ES. – ES ist November.“

Harmlose Sätze, könnte man meinen. Aber: Wer oder was ist verflixt noch mal „ES“?

In jedem Satz offenbar etwas anderes“, höre ich eine Stimme in meinem Kopf sagen. Ich höre sie ganz deutlich, denn es ist still in der Wohnung, es sind Herbstferien und zwei unserer Kinder sind verreist.

Da, schon wieder dieses „ES“: „ES ist still“ und „ES sind Herbstferien“!

Was kann dieses ES denn noch alles sein? Still, dunkel, gleich sechs Uhr, November… ES kann regnen oder schneien, ES kann donnern oder blitzen…, und „ES“ kann offenbar sogar mehrfach sein: ES SIND Herbstferien – „ES“ plus Plural! – wo doch jeder normale Mensch nach „ES“ ein „IST“ erwarten würde!

Verwirrt greife ich in das Tütchen mit Studentenfutter, das Abbas auf dem Tisch liegen gelassen hat. Genau in dem Moment stürmt unser Jüngster ins Zimmer:

Was gibsn heut zu essen, Mudda?“, will er wissen, und noch während ich geistesabwesend „Linsen“ sage, stutze – und empöre ich mich. Denn: Nicht „ES“ gibt schließlich Linsen, MUDDA gibt Linsen, zumindest gibt Mudda die Linsen aus!

Is irgendwas?“, fragt mich mein Sohn in der Küche, und erst jetzt wird mir bewusst, dass ich mich immer wieder räuspere.

Es juckt in meinem Hals“, erkläre ich ihm. „Hab mit dem Studentenfutter dummerweise `n paar Haselnüsse erwischt.“

Huch? Habe ich gesagt: „ES juckt in meinem Hals“? „ES juckt“, du liebe Zeit, das muss man sich mal vorstellen! Genau das tue ich nämlich bereits: Sehe ein gesichtsloses Männchen hinten in meinem Hals sitzen, das mit langen, spitzen Fingern an meinen Schleimhäuten kratzt…

Krrrrrrrrrrrrrrrr“, mache ich entsetzt, kann ES vielleicht mal aufhören?

Während ich krächzend und Männchen sehend die Linsen ausgebe, klingelt es – ES! – an der Wohnungstür.

Unsere Nachbarin steht da, sie sieht mir forschend ins Gesicht und verspricht mir auf der Stelle, sich ganz kurz zu fassen. Sie wolle mich auch nur auf diesen Film hinweisen, den es – ES – gerade im Odeon gebe. ES seien doch Herbstferien und ES täte mir bestimmt mal gut… Wie? Der Titel? „Es war einmal in Paris“.

Wie bitte?!? ES war mal in Paris? ES in der Hauptrolle? ES endlich sichtbar?

Doch noch während wir uns gleich für den nächsten Abend verabreden, ahne ich, dass ich auch dadurch nicht zum Abschluss kommen werde. Mich beschleicht nämlich bereits eine weitere Frage: Haben die Franzosen wohl auch ein ES?

Gastbeitrag von Christine Pilot

Bildnachweis: Christine Pilot (privat)

17 Gedanken zu “Wer oder was ist verflixt noch mal „ES“?

  1. Es irritiert mich, dieses ES / Es provoziert mich, dieses ES / Es fasziniert mich, dieses ES / Es amüsiert mich, dieses ES.

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  2. In der Xing-Gruppe ‚Deutsch für Profis‘ gab ES eine lebhafte Diskussion rund um’s ES. Hier sind Auszüge, die vielleicht zu weiteren Kommentaren anregen!

    Einführung (SM) – 13.07.2016, 19:53
    Kaum zu glauben, wie oft ein ‚ES‘ in unserem Rede- und Schreibfluss auftaucht. ‚ES‘ passt immer, meinen wir. Doch wer Deutsch nicht kennt und erst lernt, stolpert ständig über dieses ‚ES‘. Diese Odyssee hat Christine Pilot im Blog Multisprech aufgezeichnet (https://multisprech.org/2016/06/09/wer-oder-was-ist-verflixt-noch-mal-es). Sicher gibt „ES“ genug Gesprächsstoff für Deutsch-Profis…

    Helen Loritz – 14.07.2016, 8:06
    „Es“ ist doch der Partner vom „man“. Man muss es so sehen.

    F.W. – 14.07.2016, 8:33
    Dieses Wort – um nicht „es“ zu sagen – gibt es doch auch in anderen Sprachen …
    Nur, weil es mir gerade einfällt: Bing Crosby – It’s Been A Long Long Time, oder die Beatles – Here comes the sun, and I say, It’s all right. Little darling. It’s been a long, cold lonely winter. Little darling. It feels like years since it’s been … (gleich mehrmals hintereinander), and so on. ES fällt mir sicher noch einiges ein, wenn ES meine Zeit erlaubt 🙂

    Manuela Fuchs – 14.07.2016, 11:08
    „Es“ ist (vor allem auch) ein unpersönliches (Personal-)pronomen. Sprachen, die üblicherweise keine Peronalpronomina verwenden, haben dann auch keinen adäquaten Ersatz für das „es“. So z.B. im Italienischen: „piove“ – es regnet.

    Christine Praetorius – 14.07.2016, 14:36
    In dem verlinkten Beitrag geht es (!) um einen Menschen namens Abbas, der Deutsch lernt und Fragen zur Verwendung dieses Wortes (in der deutschen Sprache) hat. Dadurch hat sich der Autorin offenbar ein neuer Blickwinkel auf dieses Wort geöffnet. Das heißt ja aber nicht, dass das Wort im Deutschen seltsam verwendet wird oder dass es ein zweifelhaftes Wort ist. Die Betrachtung eines Wortes „von außen“ ist erstmal Denksport und darum unbedingt begrüßenswert. Sie sorgt für neue Erkenntnisse über Alltägliches und freut Herz wie Hirn, impliziert aber keinerlei Wertungs- oder Veränderungsbedarf. Es ist, wie es ist mit dem „Es“. Als Muttersprachler definiere ich mit diesem Satz nicht eine unbekannte, sondern eine bekannte Größe mit sich selbst.
    Interessant wäre natürlich, ob es (juhufallera!) ein solches Wort und entsprechende damit verknüpfte Wendungen auch in Abbas‘ Muttersprache gibt (wie in den Beispielen mit Englisch oder Italienisch). Das würde das Erklären, Verstehen und Anwenden vom deutschen „es“ bestimmt erleichtern. Falls nicht, helfen Gedächtnis, Übung und Routine, den richtigen Gebrauch zu lernen…

    Christoph Sträßner – 14.07.2016, 18:27
    Das Französische ist eine Artikelsprache wie das Deutsche. Nur kennt das Französische kein grammatisches Neutrum. Das „Es“ wird daher zum „Er“ (Il).
    Das Russische, das keine Artikelsprache ist, aber alle drei grammatischen Geschlechter kennt (er, sie, es), kennt diesen Gebrauch des „es“ auch nicht.
    Das Regnen ist für das Russische ein schlechtes Beispiel, da dieser Wetterzustand anders beschrieben wird (ohne das Verb „regnen“: „der Regen geht“), aber in anderen Fällen steht dort das Verb ohne ausdrückliches Subjekt da. Ohne dieses Subjekt kann aber offensichtlich weder das Französische noch das Deutsche auskommen. (Dass das Englische nicht ohne auskommen kann, wenn es das Deutsche nicht kann, ist aufgrund der nahen Verwandtschaft der beiden Sprachen nicht so sonderlich verwunderlich).
    Interessant wäre es, zu erfahren, wie mit solchen Situationen in anderen Sprachen umgegangen wird – ob im Arabischen (einer semitischen Sprache) oder auch im Iranischen oder z.B. Paschtunischen (beide sind wie Deutsch, Französisch, Italienisch und Russisch indogermanische Sprachen).

    Peter Josef Hinger – 19.07.2016, 7:56
    Es ist unglaublich.
    Es ist unbeschreiblich.
    Es ist unnatürlich
    Es ist göttlich.
    Es ist die Schöpfung.
    Es ist universell.
    Es ist unendlich.
    Es ist ein Un.
    Unwissenheit, Unbegreiflichkeit und unsäglich schön.
    Es ist all das, was wir neimals begreifen. Denn wenn es regent wird es nass und dann trockent es das Nasse wieder.
    Deutsch ist und bleibt eine Ursprache und hat das unerkennbare schon erkannt.

    Helen Loritz – 19.07.2016, 11:33
    Un ist es eben nicht. Dort fehlt es gänzlich.

    Patrick Kalberg-Khan – 19.07.2016, 16:31
    Im Italienischen gibt es das Morphem „lo“. Das „lo“ ist einerseits Artikel für maskuline Substantive, die z. Bsp. mit „sc“, gefolgt von den flachen Vokalen e oder i, beginnen. Beispiele:
    lo scialle ([lo schalle], der Schal)
    lo sciopero ([lo schopero], der Streik)
    Es wird andererseits verwendet, um Akkusativobjekte zu bezeichnen. Da verhält es sich nicht anders als im Deutschen. Beispiele:
    Te lo spiego ([Dir es erkläre ich], Ich erkläre es dir)
    Ce l’ho (Ce lo ho [Es ich habe], Ich hab’s) – das „Ce“ ist eine Art lautlicher Füllsel. Woher das kommt, habe ich leider nie verstanden 😉
    Non dimenticarlo! (Non dimenticare lo [Nicht vergessen es], Nicht vergessen! oder Vergiss‘ es nicht!
    Bei einfachen Subjekt-Verb-Kombinationen ist das „es“ bereits in der Verbform enthalten. Beispiele:
    Es sind viele (Sono in molti)
    Es reicht (Basta ;-))

    Gohar Zatrjan – 23.07.2016, 15:28
    Im Armenischen gibt es das „es“ nicht. Das Beispiel „Es regnet“ wird dann auf zwei Arten ausgedrückt (in vereinfachter Lautschrift in Klammern):
    1. Անձրեւում է (Andzrevum e) – Regnet ist
    2. Անձրեւ է գալիս (Andzrev e galis) – Regen ist kommt
    Das 2. Beispiel ist der geläufigere; es wird ein Hilfsverb („ist“) verwendet, um den Satz zu bilden. Im Armenischen findet man häufiger mehr analytische Konstruktionen als synthetische.

    Patrick Kalberg-Khan – 24.07.2016, 14:04
    Frau Zatrjan, könnten Sie (oder auch jemand anders) vielleicht noch kurz mit einem Beispiel erklären, was man sich unter analytischen gegenüber synthetischen Konstruktionen vorstellen darf?

    Gohar Zatrjan – 24.07.2016, 19:26
    Aber gern, Herr Kalberg-Khan!
    Analytisch (zergliedernd) sind Sprachen, die die syntaktischen Beziehungen mithilfe von anderen selbständigen Wörtern, z. B. Verben, ausdrücken. Das zweite armenische Beispiel ist analytisch gebildet, da ein Hilfsverb hinzugenommen wird, um den Inhalt zu formulieren. Im Deutschen sagt man auch „ich habe geliebt“, es sind drei einzelne Wörter, die etwas ausdrücken.
    Im Gegensatz dazu werden bei synthetischen (zusammensetzend) Sprachen bestimmte Endungen verwendet, die z. B. das Tempus mitformulieren. Das erste armenische Beispiel ist genauso. Es drückt das Präsens aus. Das Lateinische ist doch auch eine synthetische Sprache, richtig?. Mit „amo“ wird angezeigt, dass „ich liebe“ oder mit „amavi“, dass „ich geliebt habe“.
    Ich hoffe, ich habe nichts vergessen. Wenn ja, gerne einfügen oder korrigieren. Wenn die Lateiner/innen unter Ihnen bei den lateinischen Beispielen Fehler finden, gerne melden 😉

    Christine Praetorius – 25.07.2016, 15:14
    Das ist unheimlich interessant, Frau Zartrjan. Das hat mir noch nie jemand erklärt. Regen ist kommt! Wahnsinn. 🙂
    Darauf würde ein deutscher Fantasyautor, der sich eine fremde Sprache ausdenken will, nicht kommen. Weil es auf Deutsch nicht fremd, sondern falsch klingt. Buchhelden vom Planeten Zongs (erfunden in Deutschland) würden eher sagen: Der Himmel geht regnen. Oder: Regen ist. Regen kommt. Es wasserfällt. Schön fremd für die Stimmung, aber sprachlich vertraut.
    Ich frage mich oft, wie irgendwelche ganz normalen Dinge in Sprachen funktionieren, von denen ich keine Ahnung habe. Sprachen, die eben nicht so verwandt mit meiner Muttersprache sind, dass die Unterschiede schnell erklärt und begriffen sind. Was in diesen Sprachen ganz anders (oder ganz anders kraus) ist.
    Zu sagen: Deutsch ist schwer (oder kompliziert), das geht schnell, stimmt immer und macht wenig Mühe. Aber viel schwerer und komplizierter als neue Vokabeln oder ein dritter Artikel sind ja andere Bezüge, andere Satzbauten etc. Da kann man nicht einfach mehr Kabel im Gehirn einziehen, sondern muss die Anlage so umrüsten, dass man die alten nach Belieben umstecken kann. Besonders schwierig stelle ich mir vor, auch noch ein neues Alphabet, andere Buchstaben lernen zu müssen. Da kann man sich ja anfangs an kaum noch etwas festhalten.

    N.N. – 26.07.2016, 17:47
    … In diesem Zusammenhang sollte eigentlich Kisuaheli nicht fehlen, oder? 😉

    Sabine Manning – 26.07.2016, 20:04
    Ja, warum nicht auch Kisuaheli? ‚Es‘ ist doch gerade der fremdsprachige Blick, der uns anregt, unser Deutsch neu zu entdecken!

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  3. Wie viele Facetten so ein kleines Wörtchen doch hat! Schön, so ein reger Austausch. Interessant ist der Vergleich mit anderen Sprachen.

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  4. Das ES lediglich unter intellektuellen Gesichtspunkten zu betrachten, es mit anderen Sprachen vergleichen empfinde ich als zu logisch.
    ES ist in erster Linie etwas das in unserer Sprache für Unbeschreibliches verwendet wird:

    Es regnet, es passiert, es hat sich gezeigt, …

    Etwas ereignet sich das zwar wissenschaftlich erklärbar ist, doch das sich selbst auslöst:

    Es fliegt, es wächst, es stirbt, …

    Besonders interessant ist doch dass das ES auch fühlen kann:

    Es fühlt sich an als ob … , es tut weh, es freut sich, es liebt, es ist traurig, …

    Da wir zivilisierten Menschen für alles und Jedes einen Begriff haben oder ihn erfinden falls es ihn noch nicht gibt, sind wir auch bestrebt einen Begriff für all das zu verwenden das unerklärlich ist.

    Das ES ist ein Universalbegriff auch dafür wenn wir uns nicht festlegen wollen, wenn wir unverbindlich bleiben in unserer Aussage oder Behauptung. Das ES ist omnipräsent bei uns in der Zivilisation. Das ES brauch idigene Völker nicht, das sie nicht in Vermutungen reden sondern in Fakten. Das haben wir weiter oben doch schon lesen können: Regnet ist, Regen ist kommt.

    Wir sind einfach sehr theoretisch unterwegs, unwissend und vermutend und dafür muss das ES sich ständig für ETWAS hergeben. Wir Zivilisierten sind eine Theorie dessen, was vermutbar ist und so ist ES unfassbar präsent in uns als eine Vermutung unserer selbst.

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  5. Neben den vielen klug und interessant hinzugefügten Aspekten nun auch noch ein Hinweis auf die Funktion des ES in lyrisch-literarischer Hinsicht, und zwar zunächst am Beispiel von ein paar zusammengestellten Liedanfängen:
    Es, es, es und es … Es blies ein Jäger wohl in sein Horn … Es ist ein Ros entsprungen … Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann … Es klappert die Mühle am rauschenden Bach … Es kommt ein Schiff geladen … Es waren zwei Königskinder … Es war eine Mutter … Es tönen die Lieder … [Was fällt uns noch ein?]
    Übrigens gibt es auch jede Menge ES-Anfänge bei Gedichten und Balladen: „Es stand in alten Zeiten ein Schloss so hoch und her“ … Und schließlich hat Martin Luther das ES auch ‚biblisch‘ gemacht: „ES begab sich aber zu der Zeit…“

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    • Hallo Herr Reisener,

      vielen herzlkchen Dank für die Ergänzung durtch den lyrisch-literarischen Hinweis. Oh ja, da kommen viel Erinnerungen in mir auf. Kindheit und Jugend. Unbeschwert und singend frei zu sein. Einst waren es einfach Kinderlieder, doch heute sind sie ein klares Fühlen von etwas das ich Geborgenheit und Sicherheit nenne. Darin verbergen sich Sehnsucht und Danke. Ein Danke an die Eltern, die Familie, das Leben.

      ES wirkt eben in Allem und Jedem. ES ist und wir sind.

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  6. Liebe Deutsch-Profis,
    fasziniert lese ich die vielen Kommentare, die mein Text ausgelöst hat. So viele interessante Gedanken! So viele Informationen!
    Nach allem, was ich bis jetzt schon neu hinzugelernt habe, spricht mich aber doch ganz besonders die Aussage an, dass ES in erster Linie etwas sei, was in unserer Sprache für Unbeschreibliches verwendet werde. Denn so empfinde ich ES auch. ES irritiert, und ES fasziniert…
    Nicht vorenthalten möchte ich Ihnen, was mir damals, als ich mit meinem Text beschäftigt war, ein junger Mann aus Syrien (nein, nicht Abbas) über die arabische Entsprechung zu „Es regnet“ sagte: Es müsse immer einen Verursacher für das Verb geben, und bei dem Satz „Es regnet“ sei dies etwas, was mit der Welt zu tun habe. Schön, nicht?
    Ihnen allen herzliche Grüße!
    Christine Pilot

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    • Liebe Frau Pilot,

      da mag ich noch eine Anregung ergänzen, die Ihr Kommentar bei mir auslöste. In unserer zivilisierten Welt genügt es uns leider nur bedingt den Verursacher für das ES zu sehen, sondern wir sind schon so konzipiert, dass wir einen Schuldigen im ES sehen und uns damit Entschulden, denn:

      Es ist eben passiert!
      Was kann ich dafür wenn ES regnet!

      Es kann nicht sein, dass …

      Gerade dieses, „Es kann nicht sein, dass …“ Wird auch gern in der Politik verwendet… Die Verantwortung für die Forderung wird sozialisiert wobei sich der Verwender damit profiliert, dass er ES nicht ist.

      Verrückt das Ganze ES, obwohl voller Liebe und Lust auf Leben.

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    • Thanks John, but in my eyes it looks different.

      Mag sein für einen Pragmatiker ist das so. Das kann ich auch im deutschen Sprachgebrauch behaupten. Doch, wenn wir uns die englische Sprache und das IT anschauen, dann ist es genauso von Bedeutung.
      Allein wie oft das „isn’t it?“ verwendet wird, um einer Aussage Nachdruck zu verleihen, ist doch beispielhaft für die Verwendung des IT. „It’s so amazing. Isn’t it? „What kind of weather is it? It is wonderful and sunny, isn’t it.“
      Wie soll ich da einer Aussage folgen, die anregt zu glauben, das IT sei in der englischen Sprach bedeutungslos?

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      • Dear Peter Josef, without worrying about pragmatism or otherwise, these are interesting thoughts. You refer correctly to question forms such as „What kind of weather is it?“ To which I could add another one: „What’s it all about?“ But one should not make too much of the „isn’t it?“ addition. Not least because it is often simply the English version of „nicht wahr?“ But also because personal pronouns in English operate in the same way, e.g. „Tom’s clever, isn’t he?“ or „She’s bright, isn’t she?“ For which the German would again tend to be „nicht wahr“, nicht wahr?

        Another aspect: the lyrical, literary usage of „es“ in German. Helmut Reisener offers examples such as „Es blies ein Jäger —„, „Es klappert die Mühle —„. Or take the fairy tale phrase: „Es war einmal —“ (again with ‚es‘). In such cases English often uses a ‚there was‘ phrase: „Once upon a time there was —“ or „There was once —„. In other words, ‚there‘ offers a structural usage here that might be a parallel to ‚es‘.

        So while accepting the strength of, say, the English „isn’t it?“, I think one could still claim that the German ‚es‘ has something special about it that is missing in plain English ‚it‘. Which is how this debate started in the first place!

        A little footnote: In a notable case of sexual misuse of girls and women, the guilty man (now fortunately no longer with us, so he can’t comment!) referred to each one of his victims as an ‚it‘ – thus depersonalising them. I can’t imagine a parallel use of ‚es‘ in civilised German!

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      • Wonderful John and thank you again,

        you are right if you translate the it in the meaning in german, but in english it ist it and keeping as it.
        It is really very interesting that the translation to german shows me the realitiy of the menaing in the german mind, but the fact is stiil it.
        So in German and the german language it means it.

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  7. Lieber Herr Hinger,
    „Es kann nicht sein, dass…“ Hierüber musste ich lachen, denn, ja, diese Aussage aus Politiker-Munde kenne ich auch.
    Dabei ist doch gemeint „Es darf nicht sein, dass…“, wenn nicht sogar: „He, ihr von der Gegenseite: Wie könnt ihr zulassen, dass…!?!“ Stattdessen muss das unschuldige ES herhalten…
    Entschärft ES die Konfrontation? Darüber muss ich erst nachdenken.

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    • Das ES sozialisiert das Thema, die Konfrontation verliert an Kraft und Wirkung, es schindet Zeit, da weder Ross noch Reiter genannt werden. Politisch unverbindliches Aufbegehren, moralische Inszenierung ohne Wirkung.
      Jedoch ist jener, der sich dieser Formulierung bedient scheinbar aus dem Schneider denn er klagt an. Dadurch hat er sich selbst einen Freispruch erteilt, denn er hat ja wenigstens etwas gesagt.

      Diese Aussage ist sinnlos, hilflos, kompetenzlos und feige. ES ist Politik in der reinsten Gegenwartskultur, leider.

      Das fühle ich wenn ich mich da reindenke und spüre.

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  8. ES bewegt mich weiterhin.

    Durch die Bemühungen das ES zu intellektualisieren übersehen wir leicht die Wirkung des ES. Das ES ist ein Fühlen, ein unfassbares Fühlen und ein itellektuell unbeschreibliches Fühlen.

    Für den Intellektuellen gibt ES natürlich eine greifbare Erklärung, und die finden wir zum Teil in der Bibel. Dort gibt es in der aramäischen Sprache, wie auch in anderen wie hebräisch oder arabisch, Begriffe, die wir als „Gott“ übersetzen. Doch im Vergleich zu den Begriffen wie Allah, Jahwe, Ahieyah, Ehjeh, Elohim oder Ithea, ist Gott hart, kurz und bündig. Gerade das Wort „Ithea“ bedeutet im aramäischen ES oder auch Essenz. Für die Semiten ist das „Lebendige“ etwas, ein Wesen, das aus sich selbst ist und wirkt.

    Damit freut ES mich, dass ES wirkt, dass ES ist und das ES unendlich unfassbar bleiben wird. Ein wohlwollendes Fühlen euch allen.

    ES ist und ich bin.
    ES ist und du bist.
    ES ist und wir sind.
    Es ist und ihr seid.
    Es ist ES.

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  9. Es wurden die literarisch-lyrischen, unbeschreibbaren und emotionalen Aspekte des ES erwähnt, u.a. von Helmut Reisener und Peter Josef Hinger.
    Zur Poesie hinzufügen möchte ich noch ein bekanntes Gedicht von ERICH FRIED:

    Was es ist
    Es ist Unsinn
    sagt die Vernunft
    Es ist was es ist
    sagt die Liebe

    Es ist Unglück
    sagt die Berechnung
    Es ist nichts als Schmerz
    sagt die Angst
    Es ist aussichtslos
    sagt die Einsicht
    Es ist was es ist
    sagt die Liebe

    Es ist lächerlich
    sagt der Stolz
    Es ist leichtsinnig
    sagt die Vorsicht
    Es ist unmöglich
    sagt die Erfahrung
    Es ist was es ist
    sagt die Liebe

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    • Danke GudruN für das Gedicht.

      ES ist stimmig, bis auf einen intellektualieiserten Umstand: Das ES und die LIEBE sind ein und dasselbe. Liebe ist ein Begriff für den Verstand um dem Menschen glauben zu machen, dass es zwischen dem, was wir Gott nennen und ihm, noch eine Zwischenstation gibt.

      Die Liebe war schon immer im ES und da ich oben schon mal aus der Bibel plauderte, hier noch eine Ergänzung.
      Liebe aus dem aramäischen übersetzt, ist sehr Nuancenreich und bedeutet wärmen, entzünden oder auch entflammen. Doch zugleich kann es auch, einander zugetan sein, mit einander freundlich und herzlich umgehen, oder echtes Interesse an einander haben, bedeuten

      Die aramäischen, hebräischen und arabischen Begriffe für das, was wir Gott nennen, haben alle dieselbe Wurzel im Nahen Osten. Sie stammen von el oder ‚el und dieses bedeutet wiederum, unterstützen, helfen, beistehen, tragen, verteidigen.

      Lediglich wir, ach so zivilisierten Europäer und Westler, trennen in Gott und Liebe. Der Ursprung unserer Religion sah dies immer als eine Kraft.

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