Geflüchtete auf Deutschkurs

Zweifellos sollten Geflüchtete so schnell wie möglich Deutsch lernen, und zumeist wollen sie das auch. Denn die Landessprache zu erwerben ist der Schlüssel für Bildung, Arbeit und gesellschaftliche Integration. Nur ist das leichter gesagt als getan. Wo sind die Engpässe und Hürden? Welche Initiativen gibt es? Und was wird erreicht?

Girl von Eduard Tschernikov auf Pixabay

Für Erwachsene bietet der Bund Integrationskurse einschließlich Deutschunterricht an. Doch bei ihrer Ankunft haben Geflüchtete noch keinen Anspruch darauf. Laut Einwanderungsgesetz von 2005 dürfen Asylbewerber die Integrationskurse erst nach Abschluss ihres Verfahrens besuchen – das kann Monate, manchmal Jahre dauern. Sie müssen für den Kurs eine Aufenthaltsgestattung, eine Duldung oder eine Aufenthaltserlaubnis vorweisen. Neuerdings können zwar Personen aus Syrien, Eritrea, Iran und Irak schon nach ihrer Ankunft an einem Integrationskurs teilnehmen. Aber bürokratische Hürden versperren den Zugang: Nur diejenigen erhalten eine Berechtigung zum Kursbesuch, die sich nicht vorher in einem anderen europäischen Land als Flüchtling haben registrieren lassen. Und auch diese Überprüfung dauert Zeit.

So sind die meisten Geflüchteten zunächst auf sprachliche Improvisation angewiesen. In vielen Erstaufnahmeeinrichtungen übernehmen Ehrenamtliche den Deutschunterricht. Verschiedene Apps unterstützen Flüchtlinge ebenfalls dabei, die für sie fremde Sprache zu lernen (vgl. die Initiativen in unserem Beitrag „Refugees im sprachlichen Neuland„). Das alles ist hilfreich, aber kein Ersatz für systematischen Deutschunterricht. Gerade bei den Sprachlern-Apps fehlt die direkte, soziale Interaktion mit Muttersprachlern. Es gibt auch hervorragende Lehrbücher und Materialien zum Deutschlernen, nur nützen diese wenig ohne didaktische Vermittlung. Das Land Berlin hat zur Überbrückung eigene Deutschkurse an Volkshochschulen auf den Weg gebracht, die im vergangenen Jahr fast 6000 Menschen erreichten. Auch von anderen Bildungsträgern in Berlin gibt es auf folgenden Webseiten Angebote: „Deutschkurse für alle“ und „Sprache ist Integration„.

Und was bietet der bundesdeutsche Integrationskurs? Er enthält 600 Stunden Deutsch plus einen 60-stündigen Orientierungskurs und erstreckt sich normalerweise auf 6-8 Monate. Ein Problem dabei: es ist ein Einheitskurs. Für Teilnehmer mit hohem Bildungsniveau und Vorkenntnissen in Deutsch reicht er aus, nicht jedoch für Ausländer, die kaum eine Schulbildung erhalten haben. Für besonderen Bildungsbedarf werden spezielle Kurse zu 900 Stunden angeboten. Der reguläre Kurs führt zum Niveau B1 des europäischen Sprachzertifikats. Darunter versteht man eine „selbstständige Sprachanwendung“ (siehe hierzu und nachfolgend Info zu Niveaustufen). Teilnehmer ohne Vorbildung bzw. Analphabeten streben meist die darunter liegende Stufe A2 der „elementaren Sprachanwendung“ an. Insgesamt erreichen nur 6 von 10 Teilnehmern aller Deutschkurse das erwünschte Niveau.

Initiativen sind vor allem für die berufliche Sprachförderung gefragt. Das Niveau der Integrationskurse reicht zwar zur Verständigung und allgemeinen Vorbereitung für eine Beschäftigung, aber nicht unbedingt für eine erfolgreiche Vermittlung in den Arbeitsmarkt. In vielen Berufen wird mindestens B2 verlangt, im akademischen Bereich C1 („Kompetente Sprachverwendung“). Auch der Sinn der Sprachkurse, die die Bundesagentur für Arbeit finanziert, ist umstritten: Das Geld wurde an Bildungsträger verteilt, die z.T. überhaupt keine Erfahrung mit Sprachkursen haben. Einen neuen Ansatz hat die IG Metall entwickelt: sie fordert ein betriebliches Integrationsjahr – vier Tage arbeiten und einen Tag lernen. Es soll Geflüchteten ein finanziell selbstständiges Leben ermöglichen und ihnen trotzdem Zeit geben, die Sprache zu lernen und mehr über ihre neue Heimat zu erfahren.

Wie können die zugewanderten Kinder möglichst schnell Deutsch lernen? Ihr Zugang zu Schulen ist von Land zu Land unterschiedlich geregelt. In Sachsen gibt es überhaupt kein entsprechendes Gesetz, in Baden-Württemberg gilt die Schulpflicht nach sechs Monaten, in Berlin vom ersten Tag an, doch in der Praxis gibt es auch hier Verzögerungen. Deutsch lernen die Kinder zunächst in Vorbereitungsklassen möglichst direkt an den Schulen, doch aus Platzgründen auch in ihren Unterkünften (nachteilig für die Integration!). Die Zeit zum Deutschlernen ist z.B. in den Berliner Willkommensklassen auf 6 bis maximal 12 Monate kalkuliert. Für die meisten Kinder reicht das nicht aus. Auch ist fragwürdig, ob die angestrebte Niveaustufe A2 ein Kind bereits dazu befähigt, im Regelunterricht zu bestehen. Als Ausgleich ist eine begleitende Sprachförderung vorgesehen.

Unzureichend sind schließlich die Chancen der kleinen Kinder, in Kitas zu gehen und dort Deutsch zu lernen. Die Senatsverwaltung in Berlin z.B. sieht für die geflüchteten Kinder keine sofortige Nutzung von Kitas vor. Anspruch auf einen Platz besteht erst, wenn ein mindestens dreimonatiger Aufenthalt gegeben ist. Zudem erschweren die bürokratische Antragsverfahren die Suche der Eltern nach einem Kitaplatz. Im August 2015 besuchten in Berlin nur 15 Prozent der geflüchteten Kinder unter sechs Jahren eine Kita. Vor allem fehlt es bundesweit an Kapazitäten. Für 2016 schätzte das Ministerium einen Bedarf an 80.000 zusätzlichen Kitaplätzen.

Ein Engpass sowohl an Schulen und Kitas als auch bei den Integrationskursen ist das Personal: 2016 sind für die Schulen 20.000 zusätzliche Lehrer und für die Kitas 14.000 Erzieherstellen erforderlich. Tatsächlich aber müssen sich die Schulen mit 8.500 neuen Stellen begnügen. Als Notlösung werden oft Hilfskräfte oder sogar Ehrenamtliche eingesetzt, mit prekären Beschäftigungsverhältnissen. An den Volkshochschulen fehlen zehntausende Stellen, um Deutschkurse anzubieten. Vor allem mangelt es an Lehrern, die eine besondere Ausbildung im Bereich „Deutsch als Fremdsprache“ absolviert haben. Auch private und öffentliche Bildungsträger suchen händeringend nach Deutsch-Dozenten, und die Anforderungen an das Personal sinken. Selbst die qualifizierten Dozenten werden völlig unzureichend als Honorarkräfte auf Stundenbasis bezahlt. Es gibt bundesweit praktisch keine Lehrer mit regulären Arbeitsverträgen für erwachsene Deutschlerner.

Fazit: Unser Überblick zeigt, dass eine beträchtliche Lücke zwischen dem Anspruch sprachlicher Integration und dem tatsächlichen Deutschangebot für Flüchtlinge klafft. Hervorzuheben ist jedoch das große Engagement, das Bildungseinrichtungen und Lehr-/Erziehungskräfte aufbringen, um den Geflüchteten bestmögliche Deutschkenntnisse zu vermitteln. Um diese Bemühungen zum Erfolg zu führen, gibt es noch jede Menge politischen Handlungsbedarf!

Sabine Manning

Hinweis:

Dieser Beitrag wird in der Freitag Community unter dem Titel „Eintritt für Geflüchtete nur mit Deutsch!“ diskutiert.

Quellen zum Text:

  • Beyes-Corlais, Aglaja: Prekär von Staats wegen. Junge Welt v. 10./11.10.2015
  • Füller, Christian: Versetzungsgefährdet. Der Freitag v. 28.1.2016
  • Goethe-Institut: Integrationskurs – häufige Fragen [Link]
  • IG Metall: Integrationsjahr. Info v. 9.2.2016 [Link]
  • Laak, Claudia van: Integration – Ist Sprache das einzige Kriterium? Deutschlandfunk v. 7.2.2016 [Link]
  • Ludwig, Michaela: Einfach Kind sein. Erziehung und Wissenschaft 03/2016
  • Olbrisch, Miriam: Papa bumm. Der Spiegel No 8/2016
  • Stemmler, Karin: Deutsch zum Billigtarif. Berliner Zeitung v. 9.3.2016

Nachweise für die Fotos:

  1. „Smartphone geht immer“ (Till Hahn, Sebastian Puschner) in: Der Freitag v. 29.10.2015. Foto: Sean Gallup/Getty Images (Ausschnitt) [Link]
  2. „IG Metall fordert Integrationsjahr für Flüchtlinge“ (Stefan von Borstel) in: Die Welt v. 4.2.2016.  Foto: dpa [Link]
  3. „Kitas sind wichtiger Schlüssel zur Integration“ (Website Bundesregierung). Foto: Ulf Dieter [Link]

 

6 Gedanken zu “Geflüchtete auf Deutschkurs

  1. Sehr geehrte Frau Manning,

    ich ziehe ein anderes Fazit. Der Maßstab ist in meinen Augen nicht das mögliche Optimum, sondern die umfangreichen Maßnahmen, die der deutsche Staat bereits beschlossen hat. Dazu gehört auch die Übernahme der enormen Kosten. Gehen Sie doch einmal ins Ausland und versuchen, dort einen Job zu bekommen? Da sind Sie völlig auf sich alleine gestellt. Niemand hilft Ihnen beim Erlernen der Sprache oder übernimmt die Kosten eines Sprachunterrichts. Im Vergleich dazu wird hier in Deutschland schon jede Menge für die Bildung und den Spracherwerb der Flüchtlinge getan. Mehr als in jedem anderen EU-Staat. Bildung und Integration sind weder ein Selbstzweck noch ein Selbstläufer. Beide sind Voraussetzung für eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Deutschland. Insofern mache ich keinen Unterschied zwischen Flüchtlingen und Deutschen. Wem diese beiden Dinge wichtig sind, der wird auch darin investieren. Somit sind auch Engagement und Eigeninitiative des Einzelnen gefragt. Das deutsche Bildungssystem ist nicht schlecht, auch wenn es Lücken aufweist. Ich halte es da eher mit dem Prinzip: Fordern und Fördern. Dazu muss auch eine Integrationspflicht bestehen. Allen ankommenden Flüchtlingen sofort nach der Ankunft freie Bildungskurse und Ausbildungsplätze zu garantieren, übersteigt unsere Möglichkeiten. Dazu müsste es eine geregelte Einreise geben und eine neue landesweite einheitliche Bildungsoffensive, für Deutsche wie für Flüchtlinge gleichermaßen.

    Wir könnten es ja auch wie die USA, Kanada oder Australien machen: Ins Land kommt nur, wer ausreichende Sprachkenntnisse vorweist und die erforderlichen Qualifikationen besitzt.

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  2. Lieber Herr Schmid, vielen Dank für Ihren interessanten Kommentar, der hoffentlich zu weiteren Meinungsäußerungen anregen wird!

    In meinem Beitrag wollte ich ja vor allem ermitteln, wieweit die allseits erhobene Forderung, dass Geflüchtete so schnell wie möglich Deutsch lernen sollten, umgesetzt wird.
    Diese Bestandsaufnahme wirft natürlich Fragen auf: nach den Maßstäben der Bewertung, die Sie ansprechen, und auch nach den Unterschieden zwischen Flüchtlings- und Einwanderungspolitik.

    Aber ganz gleich, welchen Ausgangspunkt man wählt – wir brauchen zweifellos “eine neue landesweite einheitliche Bildungsoffensive, für Deutsche wie für Flüchtlinge gleichermaßen”!

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  3. Vielen Dank, liebe Sabine, für diese sorgfältige und informative Recherche. Die Angebote sind (zu) vielfältig, wenn auch reichhaltiger auch als in anderen EU-Staaten. Sie sind aber auch chaotisch hinsichtlich Struktur, Adressaten, Inhalt, föderaler Zersplitterung. Das Chaos steht m. E. für einen Mangel an gemeinsamem bildungspolitischem Willen, der seinerseits vermutlich Ausdruck der stillen Erwartung ist, die Erstankömmlinge würden sich zunächst irgendwie und später sowieso mit Englisch durchschlagen. Schließlich ist Englisch in den Augen vieler Bildungsentscheider die kommende Bildungssprache schlechthin. Den Personen, die es in dieser Sprache zur „Exzellenz“ schaffen, reicht das Alltagsdeutsch aus den Kursen in unserem Land völlig aus. In dieser Sprachsituation werden Sie aber nicht gesellschaftlich integriert, sondern nur zu nützlichen Fachidioten. Eine glaubwürdige Integrationspolitik müsste also auch dafür sorgen dass die wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Elite unseres Landes aufhört, unsere Landessprache zu fliehen. Aktuell beweist sie im Berufsalltag eher, dass sie unsere Landessprache dort längst nicht so stark wertschätzt wie sie vorgibt, genau dies von den Zuwanderern zu erwarten.

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  4. Ideal lernt man die Sprache, wenn man die Möglichkeit hat sie sinnvoll und mit Begeisterung zu nutzen. In den Schulen und Kursen lernt man vielleicht die Grundlagen, aber sinnvoll ist es wenn man sich mit Menschen austauschen kann, die man mag.
    Von daher bringt es auf Dauer wohl mehr, Orte zu schaffen an denen sich Menschen kennen lernen können. An denen gemeinsam erzählt, gekocht, musiziert, repariert, gestaltet werden kann.
    In Erzählcafés oder ähnlichen Räumen entstehen Verständnis, Anerkennung und Offenheit, man erkennt Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden klar, es werden Ängste abgebaut. Die Angst vor Identitätsverlust ist auch bei geflüchteten Menschen vorhanden.
    Menschen, die in Asylheimen untergebracht sind. haben Schwierigkeiten einzeln aus dieser Gruppe herauszutreten und auf eigene Faust sich an Aktivitäten mit Deutschen zu Beteiligen. Sprüche wie „jetzt tu doch nicht gleich so, als wärst du n deutscher/ ne deutsche, hängst nur noch bei den deutschen rum – bedeuten wir dir nichts mehr“ gibt es auch.
    Sozialarbeiter/innen, denen oft Vertrauen geschenkt wird, nehmen Sie quasi an die Hand und zeigen wo sie willkommen sind. Sie stellen eine der wichtigsten Vermittlerrollen zwischen Integrations/angebot/möglichkeit auf der einen und Integrations/bedürfnisse/wünsche auf der anderen Seite dar.
    So werden Netzwerke geschaffen aus denen heraus wohl die größere Chancendichte entsteht.

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  5. Pingback: Sprachkritisch unterwegs – Foruminfo 03/2016 | Forum Sprachkritik und Politik

  6. Liebe Frau Dr. Manning, vielen Dank für Ihren interessanten Beitrag, den ich als jemand, der selbst ehrenamtlich Flüchtlinge in Deutsch unterrichtet, vollumfänglich unterstütze. Unter meinen Schützlingen ist z.B. ein Eritreer, der 8 Jahre die Schule besucht hat (ohne Abschluss), was jedoch anscheinend ein ziemlicher Einheitsbrei für alle Schüler vieler Altersklassen gewesen zu sein scheint. Er wurde nach fast 2 1/2 Jahren als Flüchtling anerkannt, hatte aber erst zu Beginn des dritten Jahres in Deutschland zum ersten Mal systematischen Deutsch-Unterricht erhalten. Auch dies, wie Sie sagen, ein Einheitsbrei für Flüchtlinge aller Art, wo er mit seinen sehr dürftigen Kenntnissen doch recht verloren war. In diesem Fall fehlt es nicht nur an der Sprache, sondern auch an Grundkenntnissen der Welt, die beim Lesen von Texten Probleme bereiten (was ist ein Theater; was ist eine Universität?). Das ist natürlich in keinem Massenunterricht wirklich zu leisten. Das kann wohl nur jemand wie ich in der patenschaftlichen Individualbetreuung leisten.
    Am anderen Ende meiner Schützlinge steht z.B. ein afghanischer Anwalt mit Universitätsabschluss und Berufserfahrung und Kenntnis mehrerer Fremdsprachen, der sich in den fast 3 Jahren, die er jetzt in Deutschland ist, zu einem großen Teil selbst Deutsch beigebracht hat. (Er ist noch immer nicht anerkannt.)
    Basierend auf diesen Erfahrungen kann ich die obige Meinung von Herrn Dr. Schmid leider nicht teilen. Theoretisch mag diese richtiges enthalten. Fakt ist aber, dass wir über Flüchtlinge reden, die nun einmal – oft bereits seit Jahren – hier in unserem Land leben, und deren Integration hier uns ein dringendes Anliegen sein muss. Insofern interessiert mich überhaupt nicht, ob man anderswo weniger tut. Auch, ob die USA, Kanada oder Australien solche Leute ins Land lassen oder nicht, ist irrelevant. Unsere Flüchtlinge sind bereits hier, „liegen uns bereits seit Jahren auf der Tasche“ und es muss unser Anliegen sein, diesen zum frühestmöglichen Zeitpunkt die Möglichkeit zu eröffnen hier zu arbeiten und ihr Leben selbst zu finanzieren. Und nach meiner Erfahrung wollen das die meisten auch. Flüchtlingen vor Anerkennung keinen Deutschunterricht zu ermöglichen, weil Sie ja im Falle der Nichtanerkennung zurück geschickt werden sollen, und dann kein Deutsch mehr brauchen, ist bei den derzeit gegebenen endlosen Bearbeitungszeiten keine akzeptable Lösung. Und selbst wenn sie nicht anerkannt, aber jahrelang nicht abgeschoben und geduldet werden, muss unser Interesse sein, ihnen die Sprache zu vermitteln und ihnen einen selbstständigen Lebensunterhalt zu ermöglichen.

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