Vielsprachiges Deutsch

Meist fallen uns Wörter auf, die neu in unsere Sprache kommen, etwa aus dem Englischen. Aber woher stammen viele unserer ‚deutschen‘ Wörter? Hier eine Kostprobe:

 

Mischpoke Text2
Man möge nun mal analysieren, aus welchen und wie vielen Quellen sich dieser Multisprech-Sprachenmix speist. Das mit den FISIMATENTEN will ich gern vorab verraten: „Visiter ma tante“ pflegte ein pfiffiger deutscher Kriegsgefangener zu seinen französischen Bewachern im Lager im Elsass zu sagen und bekam dann prompt Ausgang. Das versuchten seine Mitgefangenen dann in gleicher Weise auch, was aber nur mäßig gelang und zu dieser Verballhornung führte.

Fazit: Wir Multisprech-Fans sind gut beraten, wenn wir uns verstärkt mit Fragen der Etymologie befassen.

Gastbeitrag von Helmut Reisener

3 Gedanken zu “Vielsprachiges Deutsch

  1. Vor gefühlt hundert Jahren habe ich bei Martin Lehnert (Professor am Anglistik-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin) in den Vorlesungen zu Alt-und Mittelenglisch gesessen und mich gefragt: Wozu das alles? Diese elenden Ablautreihen der starken Verben zum Beispiel. In den germanistischen Lehrveranstaltungen war es das gleiche Dilemma. Viel später erst habe ich Geschmack gefunden am Suchen nach den historischen Wurzeln der Wörter. Mir gefällt das Fazit von Helmut Reiseners Gastbeitrag, seine Aufforderung, sich mehr mit der Etymologie zu befassen. Die etymologische Suche kann das Lehren, Lernen und das Behalten lexikalischer Einheiten viel interessanter machen und damit ungemein erleichtern.
    Ich habe mir damals in Ungarn (Volksrepublik Ungarn!) für viel Geld das Concise Oxford Dictionary of Current English gekauft. Ich benutze es noch immer, obwohl etymologische Auskünfte im Internet auch zu haben sind. Ich fand dort übrigens kürzlich lesenswerte Beiträge unter
    http://www.wortfeiler.de

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  2. Aus welchen Sprachquellen speist sich der oben präsentierte ‚deutsche‘ Text ? Hier sind die Testergebnisse aus einer geselligen Runde von Leuten, die alle vor langer Zeit Abitur gemacht haben:

    Beim ersten schnellen Vorlesen fielen den meisten die als jiddisch empfundenen Wörter auf. Beim zweiten Mal gab’s auf Zuruf folgende Antworten (Herkunftssprachen abgekürzt in Klammern):

    „Es geht immer turbulent (lat.) zu, wenn ich mit meiner Mischpoke (hebr.>jidd.), die total meschugge (jidd.) ist, in unser Restaurant (frz.) gehe, einer Location (eng.) mit tollem Ambiente (frz.) in einer Posh (amer./eng.) -Gegend ohne Graffiti (gr.>lat.>ital.), aber mit Paparazzi (ital.) auf der Jagd nach Promis (lat.>frz.>eng.). Nachdem wir die Menü (lat.>frz.) -karten studiert (lat.) haben (manches darauf nicht koscher (jidd.)), versprechen wir uns gegenseitig, heute mal eine Prise (frz.) Ratio (lat.) walten zu lassen und auf Fisimatenten (lat./frz.?) zu verzichten.“

    Dann wurden Wörterbücher herbeigeholt, aber das sollte ja jeder mal für sich machen…

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  3. Im Netzwerk Xing diskutierten Fremdsprachler und Deutschprofis den obigen Beitrag von Dr. Helmut Reisener, speziell den kleinen Beispieltext zu „vielsprachigem Deutsch“. Aus welchen Sprachen speist sich dieser Text? Wieweit sind uns zurückliegende Einflüsse aus anderen Sprachen bewusst? Was empfinden wir als ‚Fremdwort‘, was als ‚deutsch‘?

    Gruppe „Treffpunkt Fremdsprachen“

    Gohar Zatrjan – 07.02.2016, 18:16
    Ein sehr interessantes Thema.
    Es sind viele jiddische Wörter dabei (z. B. meschugge), gefolgt von italienischen (z. B. Ambiente), englischen (z. B. Location) sowie französischen (z. B. Restaurant).
    Eine Frage kommt dabei auf: Gelten Wörter aus dem Lateinischen (z. B. Ratio oder turbulent) noch als „Fremdwörter“ oder sind sie bereits so in der deutschen Sprache verankert, dass sie gar nicht mehr als „fremd“ empfunden werden? Ich denke, dass diese nicht (mehr) als fremd empfunden werden.
    Meiner Erfahrung nach werden im allgemeinen Sprachgebrauch die Wörter als „Fremdwörter“ angesehen, die fremdartig geschrieben werden, wie z. B. Paparazzi oder Gaffiti in diesem Text. In diesem Text sind jedoch auch erstaunlich viele jiddische/hebräische Begriffe zu finden, bei denen ich mir vorstellen könnte, dass ihre Verwendung regional und je nach Altersgruppe variiert.

    Christoph Sträßner – 07.02.2016, 18:41
    Mischpoke, meschugge, Menü und Prise würde ich ja definitiv nicht unter die Fremdwörter einordnen, sondern unter die Lehnwörter.
    Die Fisimatenten sind sowieso ein Spezialfall, denn die französische Sprachwendung, aus der sie abgeleitet sind, ist kein Einzelwort.
    Lustig würde es übrigens, wenn in einem solchen Satz ein Friseur vorkäme. Das Wort klingt irgendwie französisch, im Französischen ist es aber ein Coiffeur. Und in Russland findet man den gleichen Beruf als „Parikmacherskaja“.

    Gruppe „Deutsch für Profis“

    Stefanie Ghazouani – 08.02.2016, 20:04
    Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Latein, Hebräisch! Wir sprechen multikulturell und nehmen das oftmals nicht wirklich wahr.

    Ich muss mich berichtigen! Wir sprechen multilingual. …Ist das die richtige Bezeichnung?

    Dr. Sabine Manning – 08.02.2016, 20:34
    Gewiss können wir unser ‚vielsprachiges‘ Deutsch als ‚multilingual‘ bezeichnen, und das hat historisch einen ‚multikulturellen‘ Hintergrund – oder sehen das die Deutschprofis anders?

    Stefanie Ghazouani – 08.02.2016, 20:57
    Wir sprechen nicht nur vollkommen selbstverständlich multilingual, sondern essen ebenfalls ganz selbstverständlich Pizza, Croissants, Muffins und Falafel. Wir tragen Harems-Hosen, Abendkleider im Kimonostil und Römersandalen. Wie wunderbar selbstverständlich sollten wir dann auch Menschen aus anderen Kulturen einen Platz in unserer Gesellschaft bieten!

    Benjamin Kühn – 08.02.2016, 22:51
    Latein, Jiddish, Italienisch, Französisch, Englisch

    N.N. – 09.02.2016, 9:02
    Ach, das geht noch viel weiter: Total von lat. totus, Menü von frz. menue (?), studiert von lat. studere, bei Prise bin ich mir hingegen nicht ganz sicher (und nachschauen wäre unfair 🙂 )
    Für mich ist die Frage: Was ist wirklich ein Fremdwort und was „unterminiert“ das Deutsche als Lehnwort? Wie und warum schreibe ich was wie? Der „ph-vs.-f -Streit“ ist eine Transkriptionsfrage – im ursprünglichen Griechisch ist es ja auch nur 1 Buchstabe -, und an den Frisör haben wir uns im Allgemeinen (meine Wenigkeit ausgenommen) auch schon langsam gewöhnt. Problematisch wird es für mich, wenn etwas so geändert wird, dass es in der Ursprungssprache dann anders ausgesprochen würde. Prominentes Beispiel: Spag(h)etti, aus denen jetzt dann Spedschetti würden.

    Manuela Fuchs – 09.02.2016, 10:34
    Die wirkliche Frage ist doch: Warum haben Sie das Gefühl, dass das Deutsche „unterminiert“ wird? Zeigen nicht gerade diese Beispiele, dass Sprache wandlungs- und anpassungsfähig ist, und es nur eine gewisse Zeit braucht, bis wir „fremde“ Wörter als unsere eigenen annehmen? Und wann in der Sprachgeschichte hätte es demnach einmal ein Deutsch gegeben, das „rein“ gewesen wäre?

    Peter Wille – 09.02.2016, 11:03
    Meine Vermutung ist, dass jenseits der Sprachwissenschaft die Psychologie, also das subjektive Empfinden eine gehörige Rolle mitspielt. Bei generell instabilen und volatilen Rahmenbedingungen (Politik, Wirtschaft, Arbeitsplatz, Kriminalität, Klima, Ökologie, Gender, Flüchtlinge, …) werden die gleichen „Veränderungen“ in der heimischen Muttersprache ungleich härter bewertet und als zunehmend bedrohlich empfunden.

    Manuela Fuchs – 09.02.2016, 11:15
    Das, und natürlich auch jenes Naturgesetz, das schon von Douglas Adams entdeckt wurde: „Alles, was es schon gibt, wenn du auf die Welt kommst, ist normal und üblich und gehört zum selbstverständlichen Funktionieren der Welt dazu. Alles, was zwischen deinem 15. und 35. Lebensjahr erfunden wird, ist neu, aufregend und revolutionär und kann dir vielleicht zu einer beruflichen Laufbahn verhelfen. Alles, was nach deinem 35. Lebensjahr erfunden wird, richtet sich gegen die natürliche Ordnung der Dinge.“ 😉

    Patrick Kalberg-Khan – 11.02.2016, 9:40
    Ich ziehe in diesem Zusammenhang den Begriff „Anverwandlung“ vor. Wir verwandeln uns Sprache, einzelne Begriffe, an. In der heutigen medialen Welt geht das natürlich rasant, früher brauchte es wohl etwas länger und die Wurzeln waren auch nicht so klar.
    Als die Franzosen im frühen 19. Jh. auf dem Hamburger Rathausmarkt campierten und die jungen Damen in ihr Zelt baten („Visite ma tente“), waren die Mütter gewiss nicht begeistert („Nix Fisimatente“), womit sich denn auch die widersprüchliche Beziehung zwischen Alter und Neuerungen auf eine verständliche Herkunft zurückführen lässt 😉

    Dr. Volkmar Schmid – 12.02.2016, 18:10
    Auch als Nicht-Deutsch-Profi kann man Sprache als einen wesentlichen Bestandteil und Pfeiler der nationalen und/oder regionalen Kultur und kulturellen Entwicklung sehen. Auch im engeren Sinne gibt es neben einer Ess-, politischen oder wirtschaftlichen u.a. auch eine Sprachkultur.
    Die interessante Frage bei der Betrachtung von „multilingual“ oder „multikulturell“ ist, ob und in welcher Art und Weise die sichtbaren Elemente der verschiedenen Sprachen und Kulturen lediglich nebeneinander bestehen oder sich gegenseitig beeinflussen, interagieren und sogar verschmelzen.
    Es wäre unrealistisch und weltfremd, davon auszugehen, dass in einer globalen Welt und Epoche rasanter Änderungen und grenzenloser Kommunikation ausgerechnet die Sprache ein Hort der Unveränderlichkeit sein soll. Je intensiver die Menschen in die dynamischen und internationalen Veränderungsprozesse eingebunden sind, desto „internationaler“ und rasanter vollzieht sich auch der Sprachwandel. (Siehe Sprachunterschiede zwischen Senioren und Jugendlichen.) Sprache wird darin lediglich ihrer Funktion als wichtigstes Kommunikationsmittel gerecht.

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